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Mozarts Prager Triumph – Sinfonie KV 504

Am 19. Januar 1787 erlebte Wolfgang Amadeus Mozart den vielleicht triumphalsten Abend seines Lebens. Was war passiert?

Das lesen Sie in diesem Artikel:

Mozart und die Prager

Mozart liebte die Prager, und die Prager liebten Mozart. Diese innige Beziehung nahm an einem Winterabend des Jahres 1787 ihren Anfang. Mozart war zum ersten Mal nach Prag gereist, um seine neueste Oper – „Die Hochzeit des Figaro“ – im Ständetheater zu dirigieren (das Ständetheater hieß damals noch „Gräflich Nostitzsches Nationaltheater“. Wenn Sie mehr über die Geschichte dieses Hauses erfahren möchten, lesen Sie meinen Artikel über das Prager Ständetheater).

Zu Mozarts Zeiten war der Musikerbegriff universell. Wer Musiker war, komponierte, dirigierte und war ein Virtuose auf mindestens einem Instrument (mit einer berühmten Ausnahme: Joseph Haydn war der vielleicht einzige Komponist dieser Epoche, der nicht zugleich Virtuose war). So überrascht es wenig, dass Mozart zwischen zwei Figaro-Vorstellungstagen ebenfalls im Nationaltheater eine sogenannte „Akademie“ – die damals gängige Bezeichnung für umfangreiche Konzertveranstaltungen – veranstaltete. Dieser 19. Januar 1787 sollte der vielleicht triumphalste Abend seines Lebens werden.

Damalige "Akademie" und heutiges "Konzert" haben wenig gemeinsam

Das zeitliche Ausmaß und die Heterogenität der Programmgestaltung einer „Akademie“ im 18. Jahrhundert können wir uns heute kaum noch vorstellen. Diese Konzertveranstaltungen dauerten gerne einmal vier, fünf, sechs oder noch mehr Stunden; gespielt wurde Musik aller „Genres“, von der Klaviersonate über Kammermusik und Opernarien bis hin zur Symphonie. Man könnte sagen, es handelte sich um Cross-Over im besten heutigen Sinne.

Eine entscheidende Sache war damals jedoch anders: Nahezu alles, was gespielt wurde, war brandneu. Der Musikhunger der damaligen Gesellschaft dürfte mit dem der heutigen durchaus vergleichbar gewesen sein, mit dem Unterschied, dass weder Spotify noch ITunes zum Stillen dieses Hungers zur Verfügung standen.

Im Verlaufe der Akademie am 19. Januar 1787 präsentierte sich Mozart hauptsächlich als Pianist, indem er Eigenkompositionen auf dem Klavier zu Gehör brachte. Das Wohlwollen des Publikums dürfte er damit bereits auf seine Seite gebracht haben; dieses Wohlwollen schlug jedoch in offene Begeisterung um, als Mozart zum Abschluss der Veranstaltung für eine geschlagene halbe Stunde ohne Unterbrechung improvisierte.

Improvisation als wichtiger Bestandteil musikalischer Ausbildung

Mozart war ein exzellenter Improvisator. An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass diese Fähigkeit mit dem gerade bei Mozart gern bemühten „Genie“-Begriff wenig zu tun hat. Die damalige Musikausbildung setzte auf die Vermittlung sogenannter „Satzmodelle“ (wir würden heute „Pattern“ sagen), die, von frühester Kindheit an eingeübt, dem Musizierenden in Fleisch und Blut übergingen.

Die Satzmodelle waren kombinier- und erweiterbar; gemeinsam mit der vollständigen Absorption der damaligen Formvorstellungen und einem hohen technischen Niveau in der Beherrschung eines Instrumentes dürften sich daraus Improvisationsleistungen ergeben haben, die für uns heute unvorstellbar sind (noch bis weit nach Mozarts Tod war es gängige Praxis, komplizierte Gattungen wie beispielsweise Fugen improvisieren zu können (man stelle sich das einmal vor!). Von Familie Bach ist bekannt, dass sie am Mittagstisch „Quodlibets“ singend improvisierte – dabei legt man mehrere voneinander unabhängige Melodien, beispielsweise Volkslieder, übereinander. Wenn Sie auf Ihrer nächsten Familienfeier einmal versuchen, „Backe, backe Kuchen“ und „Hänschen klein“ gleichzeitig zu singen, merken Sie, was das für eine Leistung ist. Vielleicht beginnen Sie dann doch lieber mit einfacher Liedbegleitung).

Mozart, der Pianist vs. Mozart, der Sinfoniker

Zurück zum 19. Januar 1787: Die Begeisterung des Prager Publikums muss überwältigend gewesen sein. Nach stürmischen Ovationen sah sich Mozart gezwungen, sich erneut ans Instrument zu setzen und den Abend mit zwei weiteren Improvisationen zu einem glanzvollen Abschluss zu bringen. Angesichts eines derart ereignisreichen Abends erscheint die Meldung der Prager Oberpostamtszeitung vom 23. Januar 1787 geradezu nüchtern:

„Freytag den 19. gab Hr. Mozart auf dem Fortepiano im hiesigen Nationaltheater Konzert. Alles was man von diesem großen Künstler erwarten konnte, hat er vollkommen erfüllt.“

Und doch spiegelt diese kurze Notiz die Überwältigung des Publikums (und, offensichtlich, auch der Kritiker) indirekt wider, denn sie beschreibt Mozart ausschließlich in seiner Funktion als Pianist. Dass in derselben Akademie auch Mozarts neueste sinfonische Schöpfung, die Sinfonie D-Dur KV 504, ihre Uraufführung erfuhr, ging in der Presse vollständig unter.

Harmonische Schocks im ersten Satz der Sinfonie KV 504

Dabei kann es am musikalischen Gehalt der Sinfonie selbst nicht liegen: Schon der Beginn der langsamen Einleitung des ersten Satzes muss für das tonal geschulte Gehör, wie wir es dem damaligen Publikum zuschreiben dürfen, eine schockierende Wirkung gehabt haben. Ein Fis-Dur-Akkord bricht im vierten Takt unvermittelt im forte herein und führt das harmonische Geschehen zwischendominantisch zu h-Moll, von wo aus die Einleitung 32 Takte benötigt, um über harmonisch weit verzweigte Wege die Dominante der eigentlichen Grundtonart D-Dur zu erreichen.

Machen Sie mit mir einen kurzen Ausflug in die Welt der Musiktheorie, um zu verstehen, was das bedeutet. Wenn Sie meinen Artikel über einfache Liedbegleitung gelesen haben, wissen Sie, dass sich mit den drei Hauptstufen einer Tonart fast jedes Lied begleiten lässt. In D-Dur, der Tonart der Sinfonie KV 504, sind die Hauptstufen D-Dur, G-Dur und A-Dur:

D scale 1
Eine D-Dur-Tonleiter. Auf den Hauptstufen (I, IV und V) sind jeweils die Dreiklänge ergänzt.

Nun gibt es ja außerdem noch die Nebenstufen; in D-Dur sind das e-Moll, fis-Moll und h-Moll:

D scale 2d
Dieselbe D-Dur-Tonleiter, zusätzlich mit den Dreiklängen der Nebenstufen (ii, iii, vi).

Sie können jede dieser Nebenstufen durch das Einschieben einer sogenannten „Zwischendominante“ erreichen. Wenn Sie die Nebenstufe h-Moll erreichen möchten, brauchen Sie Fis-Dur als Zwischendominante:

KV 504 3
Fis-Dur als Zwischendominante zu h-Moll.

Für sich betrachtet klingt das nicht aufregend. Wenn Sie diese Wendung jedoch vollkommen unvermittelt in einen D-Dur-Kontext „hineinplatzen“ lassen, ist die Wirkung eine ganz andere – und genau das tut Mozart:

KV 504 4
Dieselbe harmonische Wendung, eingebettet in einen D-Dur-Kontext.

Unser Gehör reagiert auf solche harmonischen Wendungen heutzutage kaum noch sensibel; dem Mozart-Publikum dürften die Haare zu Berge gestanden haben.

Ich hatte das Vergnügen, eine Aufführung von Mozarts Sinfonie D-Dur KV 504 mit dem Wiener Kammerorchester zu dirigieren. Sehen und hören Sie hier die ersten drei Minuten der Aufführung, welche auch die beschriebene harmonische Wendung enthalten (ab 0:17):

Mitschnitt vom 17. Juni 2019 aus dem Radiokulturhaus Wien.
Es spielt das Wiener Kammerorchester.
Dirigent: Jonathan Stark

Synkopen im ersten Satz von KV 504

Nach der langsamen Einleitung überrascht uns Mozart mit dem Vorherrschen von synkopierter Rhythmik. Wenn dieser Begriff neu für Sie ist, lesen Sie meinen Artikel über die Synkope. Dort habe ich gemeinsam mit Adrian, dem Musiktheorie-GurUHU, die synkopische Wirkung von verlängerten Noten erklärt; hier jedoch handelt es sich um eine andere Sorte von Synkope. Mozart „verschiebt“ die Noten um den Wert einer Achtel, sodass sie immer zwischen den Betonungen des Taktes landen – es entsteht erstklassige „Off-beat“-Musik:

synkopenbeispiel achtelnoten
Ein Beispiel für einen synkopierten Rhythmus, der durch das Einfügen von Achtelnoten zustandekommt.

Im Original klingt das dann so:

Mitschnitt vom 17. Juni 2019 aus dem Radiokulturhaus Wien.
Es spielt das Wiener Kammerorchester.
Dirigent: Jonathan Stark

Die synkopierte Rhythmik dominiert den gesamten ersten Satz der Sinfonie D-Dur KV 504, die übrigens später, passenderweise, den Beinamen „Prager“ Sinfonie erhielt. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Ansehen und -hören des Konzertmitschnitts vom 17. Juni 2019:

Mitschnitt vom 17. Juni 2019 aus dem Radiokulturhaus Wien.
Es spielt das Wiener Kammerorchester.
Dirigent: Jonathan Stark

Jonathan Stark – Dirigent
Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hp Stark

    Hallo Jonathan, sehr interessant für mich, diese Mozart – Symphony mit der Kenntnis deiner Aspekte an zu hören.

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