Beethovens 5. Symphonie beginnt mit dem vielleicht berühmtesten Eröffnungsmotiv der Musikgeschichte. Sie kennen es ganz bestimmt:

Beethoven verfolgt in seiner 5. Symphonie eine Dramaturgie, die mit der Redewendung „per aspera ad astra“ („durch Nacht zum Licht“ / „durch Mühe zum Erfolg“…) beschrieben werden kann.

So beginnt der 1. Satz der Symphonie mit dem gerade gehörten, überaus dunklen Eröffnungsmotiv. Der letzte Satz hingegen endet in strahlender Helligkeit.

Aber auch am Ende des 1. Satzes „blitzt“ die Helligkeit schon einmal auf. Lassen Sie uns an dieser Stelle einsteigen und den 1. Satz Schritt für Schritt bis zum Ende verfolgen. In den interaktiven Grafiken können Sie die einzelnen Bestandteile der Musik miterleben. (Wenn Sie ein Handy oder Tablet nutzen, empfehle ich, das Gerät quer zu nehmen.)

Beethovens 5. Symphonie – Ende des 1. Satzes Schritt für Schritt

Die Begeisterung über die einsetzende Helligkeit verkörpern vor allem die Holzbläser: Sie spielen eine helle Variante des Eröffnungsmotivs mehrmals nacheinander (1).
Die Streicher bilden eine Klangfläche, über der sich die Holzbläser entfalten können. Sie rollen den Holzbläsern sozusagen den Teppich aus (2).
Hinzu kommen Blechbläser und Pauken, die für die Betonung zuständig sind: Sie heben einzelne Momente hervor, indem sie ebenfalls eine helle Variante des Eröffnungsmotivs spielen (3).

(Hinweis: Sie können die einzelnen Bestandteile der Musik abspielen, indem Sie auf die großen Rechtecke klicken. Wenn Sie auf die Verbindungslinien klicken, hören Sie die miteinander verbundenen Bestandteile zusammen. Mit dem Stop-Button (oben) können Sie die Wiedergabe jederzeit anhalten.)

Beethoven wendet hier eine klassische Technik an: Eine Schicht übernimmt die Bewegung (hier: 1), eine Schicht die Fläche (hier: 2) und eine Schicht die Betonung (hier: 3).

Probieren Sie doch einmal die verschiedenen Kombinationen durch. Sie werden feststellen: Nur mit allen drei Schichten wirkt die Musik „komplett“. Entfällt auch nur eine Schicht, wirkt die gesamte Struktur viel weniger überzeugend.

Der erste Satz dieser Symphonie könnte jetzt zu Ende gehen. Das macht Beethoven aber nicht – der endgültige „helle“ Schluss kommt erst am Ende des 4. Satzes.

Hier im 1. Satz kehrt Beethoven wieder zum Dunkel zurück. Dies geschieht über zwei „Kraftanstrengungen“ des ganzen Orchesters (4 und 6), die durch kurze Einwürfe der Bläser und Pauken unterbrochen werden (5 und 7). Die Einwürfe wirken wie Fragen: „Wollen wir wirklich zurück ins Dunkel?“

(Hinweis: Auch hier können Sie mit einem Klick auf die großen Rechtecke die einzelnen Bestandteile abspielen. Mit einem Klick auf den schwarzen Pfeil hören Sie alle Bestandteile im Zusammenhang.)

Beethoven antwortet: „Ja, wollen wir.“ Um das zu bekräftigen, lässt er Fagotte, Violen und Violoncelli das Eröffnungsmotiv in der originalen dunklen Version spielen (8). Hinzu kommen Betonungen in den Bläsern, Pauken und Kontrabässen (9). Die Violinen füllen den Klang mit einer aufstrebenden Geste auf (10).

Diese Passage kommt gleich zweimal hintereinander (11), gefolgt von einer Abwärts- und Aufwärtsbewegung des ganzen Orchesters (12).

Das Dunkel ist nun vollständig etabliert, der kurze Moment der Helligkeit von vorhin vergessen.

Die Musik „schleppt“ sich ab hier vorwärts. Beethoven verstärkt diesen Effekt, indem er die Melodie dialogartig auf Holzbläser (13) und Streicher (14) aufteilt. Dadurch wirkt es so, als hätten weder Holzbläser noch Streicher genug Kraft, um die gesamte Melodielinie alleine bewältigen zu können. Die Blechbläser und Pauken (15) bilden den Hintergrund.

Hier wendet Beethoven eine zweite klassische Technik an: Es gibt eine Linie, die auf mehrere Instrumentengruppen aufgeteilt wird, plus ein liegendes Element.

Wenn Sie hier die verschiedenen Kombinationen ausprobieren, werden Sie die Wirkung dieser Technik sehr schnell nachvollziehen können: Die Kombinationen 13-15 und 14-15 haben „Löcher“ in der Melodie. Die Kombination 13-14 klingt nicht „orchestral“ genug. Auch hier gilt wieder: Wenn man auch nur eine Schicht wegnimmt, bricht die Struktur zusammen.

Die Holzbläser versuchen, sich noch einmal aufzuschwingen, werden aber in einer absteigenden Linie förmlich nach unten „gezogen“ (16). Selbst diese kurze Linie wird dann vom ganzen Orchester in ihre Einzelteile „zerstückelt“ (17). Die gesamte Passage folgt noch einmal; nun übernehmen die Streicher die Rolle der Holzbläser (18).

Darauf folgt wieder ein Abschnitt in der ersten klassischen Technik: Die Streicher bilden den Klangteppich (19), über dem die Holzbläser einen kurzen „Gesang“ anstimmen können (20). Trompeten und Pauken sorgen mit einer Variation des Eröffnungsmotivs für die Betonungen (21).

Zu den anschließenden Tonwiederholungen treten nach und nach alle Instrumente hinzu. Die Musik kulminiert im Eröffnungsmotiv, gespielt vom gesamten Orchester (22).

Jetzt könnte man mit einem schnellen, lauten Schluss des Satzes rechnen. Stattdessen kommt ein (trügerischer) Ruhepunkt: Die Violoncelli bilden eine statische Klangfläche (23), über der sich Streicher (24) und Holzbläser (25) sukzessive aufbauen.

In diesen trügerischen Ruhepunkt bricht das gesamte Orchester mit dem Eröffnungsmotiv hinein (26). Damit wird der Satz beendet.

Hier können Sie die gesamte Passage noch einmal im Ablauf hören. Die Zeitcodes helfen Ihnen, die einzelnen Abschnitte wiederzuerkennen:

0:00: Aufblitzende Helligkeit
0:07: Zurück zur Dunkelheit über 2x Kraftanstrengung und 2x Fragen
0:22: Bekräftigung der Dunkelheit mit Eröffnungsmotiv sowie Abwärts- und Aufwärtsbewegung
0:48: Dialog
0:59: Versuchter „Aufschwung“ mit „Zerstückelung“
1:10: „Holzbläser-Gesang“
1:15: Hinzutreten des ganzen Orchesters -> Eröffnungsmotiv
1:24: trügerischer Ruhepunkt
1:30: Schluss mit hereinbrechendem Eröffnungsmotiv