Franz Schubert
Symphonie h-Moll („Unvollendete“)
Erklärt nach der 5-4-3-2-1-Methode
Dauer: ca. 35 Minuten
Gattung: Symphonie (nur zwei Sätze vollständig)
Entstehungszeit: 1822/eventuell 1824
Uraufführung: Posthum am 17. Dezember 1865 (Wien)
Inhaltsverzeichnis
Schuberts Unvollendete in 5 Sätzen
Von der Symphonie in h-Moll des österreichischen Komponisten Franz Schubert existieren nur zwei vollständige Sätze, was dem Werk den Beinamen „Die Unvollendete“ eingebracht hat. Der völlig mittellose Franz Schubert arbeitete einige Jahre vor seinem Tod an dieser Symphonie, deren Vollendung seine wirtschaftliche Lage vermutlich aufgebessert hätte; warum er die Symphonie nicht fertig schrieb, ist bis heute unklar. Auch inhaltlich weist die Symphonie zahlreiche „Merkwürdigkeiten“ auf: Das betrifft beispielsweise die Tonart h-Moll, die in der Lehre von den Tonarten immer für das „Jenseitige“ steht und zu dieser Zeit für eine Symphonie vollkommen unüblich war, sowie die auffallende Ähnlichkeit zwischen den beiden vollendeten Sätzen (beide stehen in derselben Taktart und in einem ähnlichen Tempo, statt sich wie üblich formal zu unterscheiden). Nach der posthumen (und extrem umjubelten) Uraufführung, die dem Wiener Hofkapellmeister und unermüdlichen Schubert-Forscher Johann von Herbeck zu verdanken ist, wirkte Schuberts Unvollendete als prägendes Vorbild für nachfolgende Komponisten wie Schumann, Brahms, Bruckner und Mahler, insbesondere was die Emanzipation der Posaunen anging.
Hinweis: Dieses Werk gehört zu den Top 100 Klassische Musik.
4 Highlights aus Schuberts Unvollendeter
Highlight 1: Bedrohlicher Beginn
Ich kenne keine andere Symphonie, die so düster beginnt. Violoncelli und Kontrabässe spielen eine einstimmige Linie (eine sogenannte „Unisono-Linie“), die im Verlauf des Satzes mehrmals wiederkehrt:
Highlight 2: Unruhiges Schwanken
Genauso düster geht es weiter: Die Violinen setzen mit unruhigen Bewegungen ein, während die tiefen Streichinstrumente in ein gezupftes „Klopfen“ übergehen (Assoziationen zu Beethovens 5. Symphonie? Wer weiß). Und dann – darüber schwebend – setzen Oboe und Klarinette mit einer süßlichen Melodie ein:
Highlight 3: Zwischen Idylle und Schock
Dann kommt ein Seitenthema, das total unschuldig, geradezu volksliedhaft wirkt.
(Ein kurzer Einwurf aus dem Dirigentenalltag: Der „Running Gag“ unter Orchestermusikern besteht darin, dieses Seitenthema zu singen. Und zwar nicht irgendwie, sondern mit dem folgenden kunstvollen Text:
„Frieda, wo kommst du her, wo gehst du hin, wann kommst du wieda?“
Jaja, ich weiß. Verrückt, diese Künstler. Aber versuchen Sie es doch mal selbst – es passt tatsächlich erstaunlich gut und macht großen Spaß 😊).
So, genug geplaudert. Zurück zu ernsthaften Dingen. Nach dem Seitenthema kommt nämlich etwas ganz und gar Ungewöhnliches: Die Musik hört einfach auf. Eine völlig unerwartete Generalpause – das war Schuberts Spezialität. Danach fährt das gesamte Orchester mit lauten Akkorden hinein, was zu einer Schockwirkung führt, die es eigentlich erst ca. 70 Jahre später in den Symphonien Gustav Mahlers wieder gab:
Highlight 4: Der warme 2. Satz
Auch der 2. Satz soll hier nicht zu kurz kommen. Oben habe ich ja schon angedeutet, dass es erstaunliche Ähnlichkeiten zum 1. Satz gibt. Das betrifft allerdings nicht die generelle Stimmung. War der 1. Satz bedrohlich und düster, so strahlt der 2. Satz Wärme und Glück aus:
3 Fragen und Antworten zu Schuberts Unvollendeter
Frage 1: Wurde Schuberts Unvollendete irgendwann vollendet?
Es gibt zahllose Vervollständigungen von Schuberts Unvollendeter von Musikwissenschaftlern, Dirigenten und vielen anderen. Das begann im Jahr 1928 mit der Vollendung des englischen Pianisten Frank Merrick; bis heute werden immer wieder neue Versionen erstellt.
Frage 2: Aus welchem Anlass schrieb Schubert seine Symphonie h-Moll?
Auch das ist bis heute nicht geklärt. Lange ging man davon aus, dass Schubert die Symphonie h-Moll für den Steiermärkischen Musikverein in Graz schrieb, der ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte. Ein entsprechendes Dankschreiben liegt vor – ist allerdings vermutlich eine Fälschung.
Frage 3: Wie kam Schuberts Unvollendete bei der Uraufführung an?
Schuberts Unvollendete wurde mit großem Erfolg posthum uraufgeführt. Es existiert beispielsweise eine Kritik des Musikkritikers Eduard Hanslick, in der von „außerordentlichem Enthusiasmus“ beim Uraufführungspublikum die Rede ist.
2 empfehlenswerte Aufnahmen von Schuberts Unvollendeter
Aufnahme 1: Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer (Live, 2014)
Schuberts Unvollendete erfordert viele, viele kleinteilige Entscheidungen vom Dirigenten. Das geht gleich am Anfang los: Will man den Beginn der tiefen Streichinstrumente sonor, bedrohlich (und damit etwas zügiger im Tempo) gestalten? Oder lässt man die Bässe nur „murmeln“, als wäre man noch gar nicht sicher, was danach kommt? Für die erste Lösung hat sich Ivàn Fischer mit dem Budapest Festival Orchestra entschieden:
Aufnahme 2: hr-Sinfonieorchester, Christoph Eschenbach
Christoph Eschenbach macht es ganz anders: Er fasst den Beginn als „Motto“ auf, das alles prägt, was danach kommt. Entsprechend nimmt er die Eröffnungspassage der tiefen Streicher ganz aus dem Tempo und setzt sie deutlich von den später einsetzenden Violinen ab:
1 Zitat zu Schuberts Unvollendeter
Schuberts h-Moll-Sinfonie, ein treues Spiegelbild der künstlerischen Individualität ihres Schöpfers, ist leider Fragment geblieben. So gleicht sie auch in ihrer Form dem äußeren Lebensgange des Meisters, der ja in der Blüte seines Lebens, in der Vollkraft seines Schaffens vom Tode hinweggerafft wurde. Schubert hat nur ein halbes Menschenalter gelebt, als Mensch sowohl wie auch als Künstler. Sein Leben hat just ausgereicht, zwei in Inhalt und Form vollendete Sinfoniesätze zu schreiben. Er gibt sich in der Sinfonie so vollständig, als in seinen Liedern, in denen er freilich das höchste geleistet.
Hugo Wolf