Eine Zeitmaschine schleudert Sie in das Jahr 1665. Sie landen im Ballsaal des Schloss Versailles in Paris. Der 27-Jährige, luxussüchtige Ludwig XIV. ist König von Frankreich. Sie haben jedoch nur kurz Gelegenheit, den jungen Monarchen in seinem eleganten und sündhaft teuren Pelzmantel zu bewundern, denn in diesem Moment spielt die königliche Hofkapelle auf.
Sie geraten in Panik – schließlich haben Sie keine Ahnung von den französischen Hoftänzen des 17. Jahrhunderts, und vor den Augen des mächtigsten Mannes Europas wie ein blindes Huhn über das Tanzparkett zu stolpern, ist sicherlich nicht empfehlenswert. Keine Angst – Adrian ist ein sehr fortschrittlicher Musiktheorie-GurUHU und ist mit Ihnen durch die Zeit gereist.
Das lesen Sie in diesem Artikel:
Langsam wird es Zeit, sich für die Ballsaison vorzubereiten. Sie möchten sich nicht nur auf dem Tanzparkett, sondern auch im Smalltalk von Ihrer besten Seite zeigen? Dann lesen Sie hier im StarkConductor Blog die Mini-Artikelserie über Tanzmusik. Im heutigen ersten Teil: Französische Hoftänze im 17. Jahrhundert.
Die weiteren Teile der Mini-Artikelserie über Tanzmusik:
Die „Evergreens“ unter den französischen Hoftänzen
Adrian, der Musiktheorie-GurUHU:
„Drei der beliebtesten Tänze am französischen Hof von Ludwig XIV. waren die Courante, die Bourrée und die Gavotte. Wer diese drei Tänze kennt, ist auf der sicheren Seite.“
Danke, Adrian – aber geht das nicht ein bisschen konkreter? Weißt Du, die Zeit drängt. Die Hofkapelle setzt schon zum Auftakt an… Auftakt? Das ist die Lösung!
Daran erkennen Sie jeden Gesellschaftstanz
Wenn Sie Tanzmusik hören und herausfinden möchten, um welche Art von Tanz es sich handelt, helfen Ihnen drei Faktoren:
- der Auftakt
- die Taktart
- das Tempo
Edel, aber würzig: die Courante
Beginnen wir mit der Courante. Die Courante war der Dauerbrenner unter den Tänzen im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Der französische Gelehrte Antoine Furetière (1619–1688) sagte sogar, die Courante sei „der verbreitetste aller Tänze, die man in Frankreich praktiziert.“
Das hat sicherlich auch mit dem Charakter der Courante zu tun: Es handelt sich um einen äußerst vornehmen Tanz, der aber mit allerlei rhythmischen Finessen gespickt wird. Kurz gesagt: Edel, aber würzig. Passt hervorragend zum französischen Käse. Ich schweife ab. Adrian, wo waren wir stehen geblieben?
Adrian, der Musiktheorie-GurUHU:
„Die Courante (französisch: die „Laufende“) ist ein lebhafter Gesellschaftstanz im Dreiertakt, meistens mit einer Viertelnote als Auftakt.“ 1
Danke, Adrian.
Ist es nicht beeindruckend, wie Adrian es immer wieder schafft, die entscheidenden Informationen auf so kleinem Raum zusammenzufassen? Die Courante hat meistens einen Viertelauftakt, steht im Dreiertakt (mehr über Taktarten erfahren Sie hier) und ist schnell (den Begriff „Tempo“ habe ich gemeinsam mit Adrian hier schon einmal erklärt). Das klingt dann beispielsweise so:
Diese Aufnahme stammt aus dem European Archive und ist Teil der Public Domain. Sie unterliegt keinerlei Beschränkungen bezüglich Copyright und verwandter oder benachbarter Rechte.
Wenn Sie bereits ein Profi in der klassischen Musik sind, haben Sie natürlich gemerkt, dass es sich bei diesem Musikbeispiel um eine Courante des deutschen Komponisten Johann Sebastian Bach handelt (und zwar aus der Orchestersuite BWV 1066). Die hätte Ludwig XIV. an seinem Pariser Hof wohl eher nicht spielen lassen. Dieses Stück (und die beiden folgenden) eignet sich aber so hervorragend für die Erklärung der Tanzformen, dass ich es einfach verwenden musste. Verzeihen Sie mir bitte diese historische Unschärfe.
Achtung, Stolpergefahr! Die Bourrée
Ich verspreche, dieses Mal nicht in die französische Käsewelt abzuschweifen. Stattdessen versuche ich, die Bourrée einmal ganz alleine, ohne Adrians Hilfe, zu erklären. Die Bourrée gleicht der Courante in zwei äußerlichen Merkmalen: Der Auftakt der Bourrée nimmt ebenfalls den Raum einer Viertelnote ein (statt einer Viertelnote konnten auch zwei Achtelnoten geschrieben werden – die Dauer des Auftakts bleibt trotzdem dieselbe), und das Tempo ist ebenfalls schnell. Die Bourrée unterscheidet sich jedoch in der Taktart von der Courante: Während die Courante im Dreiertakt steht, ist die Bourrée ein Tanz im schnellen Zweiertakt. Hören Sie selbst:
Diese Aufnahme stammt aus dem European Archive und ist Teil der Public Domain. Sie unterliegt keinerlei Beschränkungen bezüglich Copyright und verwandter oder benachbarter Rechte.
Nachdem ich es nun geschafft habe, die Bourrée so stringent zu erklären, darf ich mir vielleicht an dieser Stelle etwas Klatsch und Tratsch erlauben (hör weg, Adrian!): Ob Sie es glauben oder nicht, es ist ganz schön schwierig, in der Bourrée nicht zu stolpern! Warum? Weil im letzten Takt einer Bourrée-Phrase häufig (aber nicht immer) eine Synkope steht. Das kann schnell für einen Knoten in den Beinen sorgen.
Übrigens: Die Bourrée ist kein rein höfischer Tanz. Sie war auch beim einfachen Volk beliebt. Uneinig ist man sich in der Forschung allerdings darüber, ob die Bourrée zuerst ein Volkstanz war, der dann von der höfischen Gesellschaft übernommen wurde, oder umgekehrt.
Vornehm, klar und gerade: die Gavotte
Adrian, der Musiktheorie-GurUHU:
„Die Gavotte ist ein Tanz im Zweiertakt. Charakteristisch ist ein halbtaktiger Auftakt, häufig in Form von zwei Vierteln. Das Tempo ist lebhaft, aber nicht zu rasch.“
Danke, Adrian.
Dem ist nicht viel hinzuzufügen, außer vielleicht, dass es gerade in Frankreich auch eher langsamere Gavotten gibt. Es ging der der französischen Noblesse wohl hauptsächlich darum, den „hüpfenden“ und fröhlichen Charakter in ein etwas kultivierteres Korsett zu zwängen. Im Unterschied zur Bourrée nimmt der Auftakt der Gavotte einen halben Takt ein (nicht wie bei der Bourrée lediglich ein Viertel).
Eine Gavotte klingt zum Beispiel so:
Kunterbunte Tanzwelt
Sind Sie nun ein Tanzprofi? Was französische Hoftänze im 17. Jahrhundert betrifft, definitiv! Auf dem Ball von Ludwig XIV. müssen Sie sich also nicht mehr verstecken. Dennoch wünsche ich Ihnen und Adrian eine angenehme Rückreise durch die Zeit.
Es gibt noch viele andere tolle Tänze, von denen Sie bestimmt auch schon einmal gehört haben. Wiener Walzer, Tango, Csárdás…Vielleicht wurden Sie sogar früher in der Tanzschule damit traktiert? Dem Csárdás, einem ungarischen Nationaltanz, widmen wir uns in der nächsten Ausgabe dieser Miniserie. Bis dahin können Sie ja schon einmal die Schritte üben… Oder sich für den StarkConductor Newsletter eintragen. Dann erfahren Sie immer sofort, wenn ein neuer Teil der Miniserie erscheint.
Jonathan Stark – Dirigent
Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.