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Bachs Weimarer Problem (und wie er es löste)

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Johann Sebastian Bach hätte am 2. März 1714 zufrieden sein können. Nach seinen beruflichen Anfangsjahren wurde er in Weimar zum Konzertmeister ernannt. Das hieß, er bekam ein stattliches Jahresgehalt von 250 Gulden.

Allerdings gab es ein Problem.

Mit dem neuen Amt war auch eine neue Pflicht verbunden: Bach musste ab sofort alle vier Wochen eine neue Kantate komponieren.

Kantaten sind Werke für Chor, Orchester und Vokalsolisten, die aus Chornummern, Rezitativen und Arien bestehen. Alle vier Wochen ein solches Werk vorzulegen, ist nicht unmöglich, aber herausfordernd.

Bach brauchte Inspiration.

Zur gleichen Zeit machte ein italienischer Komponist in Mitteleuropa Reden von sich: Antonio Vivaldi. Seine Vier Jahreszeiten kennen Sie ganz bestimmt. Vivaldi brachte seine Werke bei einem Verlag in Amsterdam heraus, was zur schnellen Verbreitung seiner Musik nördlich von Italien beitrug.

Bach wusste, was zu tun war. Er musste Vivaldis Stil sorgfältig studieren, um ihn für seine eigenen Kompositionen adaptieren zu können. Bach wusste auch, dass es nur eine Möglichkeit gab, um dieses Ziel zu erreichen.

Versetzen Sie sich in Bachs Lage. Im Jahr 1714 gab es keine Tonaufnahmen von Vivaldis Musik, kein Internet und kein Telefon. Wenn Bach sich mit Vivaldi austauschen wollte, musste er ihn entweder treffen oder ihm Briefe schreiben.

Dass Bach sich von seinen Weimarer Verpflichtungen für eine mehrwöchige Italienreise losmachen konnte, um Vivaldi zu treffen, war eher unwahrscheinlich. Dass Vivaldi nach Weimar kommen würde, noch unwahrscheinlicher.

Bach hätte Vivaldi Briefe schreiben können… Aber Briefe waren im Jahr 1714 tage- oder wochenlang unterwegs. Besonders effizient wäre dieser Austausch nicht gewesen.

Nein, Bach hatte nur eine Möglichkeit.

Zuerst ließ er sich Partituren von Vivaldis Kompositionen bringen (Prinz Johann Ernst, der Sohn von Bachs Dienstherr in Weimar, brachte sie aus den Niederlanden mit).

Dann – schrieb er sie ab. Von Hand. Nächtelang.

Das half. Durch das Abschreiben wurde Bach so vertraut mit Vivaldis Musik, dass er sie als Inspiration für seine eigenen Werke nutzen konnte. Er kam seiner Verpflichtung nach, alle vier Wochen eine neue Kantate vorzulegen, und wurde im Jahr 1723 sogar Thomaskantor in Leipzig, wo er zeitweise jede Woche eine neue Kantate komponierte.

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Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Ernst Salewski

    Hier eine kleine Korrektur zu „Bachs Weimarer Dienstherr“ während seiner zweiten Weimarer Anstellung von 1708 bis 1717:
    Da die sog. „Primogenitur“ – also die jeweilige Herrschernachfolge allein durch den Erstgeborenen – erst um 1740 im dann zum Herzogtum Weimar-Eisenach erweiterten ehemaligen hiesigen Weimarer Wirkungsbereich Bachs eingeführt worden war, regierten Brüder hier in der Regel gemeinsam. Bach hatte jedoch den kinderlosen Herzog Wilhelm Ernst zunächst nur als einzigen Dienstherrn, da dessen jüngerer mitregiert habender Bruder Johann Ernst III. bereits 1707 gestorben war, dessen erbberechtigter Sohn Johann Ernst IV. wiederum zu der Zeit noch unmündig gewesen war. Und dieser – dann im Jahre 1715 frühzeitig mit 19 Jahren verstorbener – N e f f e Herzog Wilhelm Ernst’s war derjenige gewesen, der die Vivaldi-Noten aus den Niederlanden mitgebracht hatte. Ernst Salewski

  2. Benjamin

    Für das mit nächtelang von Hand Noten abschreiben gibt es noch eine zweite Story, nämlich dass der musikbesessene Knabe nachts fremde Stücke abschrieb, sein Bruder ihn erwischte und das ganze Werk in den Mülleimer schmiss.
    Liebe Grüße, ein Heinrich-Schütz-Fan.

    1. Stimmt, davon habe ich auch einmal gelesen. War schon ein pfiffiger Kerl 😉
      Herzliche Grüße!

  3. Hannah

    Hahahaha ist ja cool, würde ich auch so machen

  4. Martin

    Sehr cool 🙂
    Vielen Dank für deinen spannenden Beitrag, Jonathan!

    Liebe Grüße

    Martin

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