München, Bielefeld, Weimar – drei Städte, drei verschiedene Ansätze, mit den Corona-Auflagen umzugehen. Mindestens einer davon ist wirklich kurios.
Das lesen Sie in diesem Artikel:
Die klassische Lösung: München – Corona sorgt für weniger Sitzplätze
Pünktlich zum Saisonauftakt der Münchner Philharmoniker dürfen im großen Saal der Philharmonie im Gasteig nach BR-Angaben fünfhundert Plätze besetzt werden. Diese Zahl ist das Ergebnis einer schrittweisen Annäherung von fünfzig über hundert und zweihundert Personen – das Hygienekonzept hat sich bewährt. Dennoch wäre der große Saal mit einem Publikum von 500 Personen nur zu knapp 20 Prozent ausgelastet.
Meiner Meinung nach ist jeder Lösungsansatz, der einen Schritt in Richtung des „normalen“ Livebetriebs darstellt, per se zu begrüßen. Die politischen Probleme bleiben aber nicht aus – beispielsweise häufen sich die Beschwerden aufgrund der Ungleichbehandlung von kleinen und großen Häusern. Warum darf A spielen, aber B nicht? Warum darf B für 200 Leute spielen, aber C nur für 50? Warum darf C überhaupt spielen und D gar nicht, obwohl D über ein viel größeres Raumvolumen verfügt? All das bietet Potenzial für endlose und letztlich wenig produktive Diskussionen. Welche Alternativen gibt es? Das zeigen Bielefeld und Weimar.
Die digitale Lösung: Bielefeld – willkommen beim Public Viewing
Im Fußball ist Public Viewing gang und gäbe. Keine Fußball-Weltmeisterschaft vergeht, ohne dass sich tausende Menschen überall auf der Welt vor riesigen Bildschirmen einfinden und das Event gemeinsam verfolgen. Warum sollte das nicht auch in der klassischen Musik möglich sein? Bielefeld macht es vor: Am 12. September wurde dort in der Rudolf-Oetker-Halle die traditionsreiche BBC Last Night of the Proms live übertragen, wie der WDR berichtet. Vor der Übertragung spielten die Bielefelder Philharmoniker ein Konzert.
Gelungen finde ich an dieser Lösung insbesondere die Kombination einer starken internationalen Marke mit einem Lokalkolorit. Gemeinsam mit dem in der Klassikwelt noch längst nicht ausgereizten Format des Public Viewing ergibt sich ein Event, das das Publikum in seiner ganzen Breite anspricht.
Die technische Lösung: Weimar – Ingenieurskunst gegen Corona
Deutschland ist das Land der Ingenieure. Da wäre es doch sehr überraschend, wenn sich dieser Berufsstand nicht auch an einer Lösung beteiligen würde. So geschehen in Weimar: Die dort ansässige Bauhaus-Universität hat Filter für Blasinstrumente entwickelt, die den Aerosol-Ausstoß minimieren könnten, wie der SWR berichtet. Kurios: Die ersten Prototypen wurden bereits von der Staatskapelle Weimar getestet und bestehen aus – Küchenpapier und Klebeband.
Interessant ist vor allem die Möglichkeit, den Aerosol-Ausstoß der Querflöte durch Anbringen des Filters direkt am Mundstück zu reduzieren – die Querflöte gilt ja aktuell als das „Sorgenkind“ der Blasinstrumente, wenn es um die Aerosole geht. Das Schnittmuster des Filters stellt die Bauhaus-Universität übrigens kostenfrei als „Open Design“ zur Verfügung – einer Weiterentwicklung steht also nichts im Wege.
Technische Ansätze wie den der Bauhaus-Universität in Weimar halte ich für erstrebenswert. Vor hundert Jahren war es noch selbstverständlich, dass Instrumentenbau und musikalische Anforderungen Hand in Hand gingen. Nun haben wir es zwar aktuell nicht mit einer unmittelbar musikalischen, sondern einer pandemischen Herausforderung zu tun – doch warum sollte der Instrumentenbau sich dabei passiv zeigen?
Fazit: Es ist ermutigend zu sehen, dass die Kreativität und inhärente Interdisziplinarität der Musikbranche sich auch in den verschiedenen Corona-Lösungsansätzen zeigen. Jede Lösung, ob klassisch, digital oder technisch, die unter Wahrung der Gesundheit aller Beteiligten zu mehr Live-Musikgenuss führt, ist eine gute Lösung.
Jonathan Stark – Dirigent
Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.