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Wie Ravel zu Mussorgski kam (Winter-2023-Mini-Erlebnis Teil 2/3)

Das ist Teil 2 des Winter-2023-Mini-Erlebnisses. Teil 1 („Was Zusammenarbeit auslösen kann…“) finden Sie hier.

In Teil 1 haben Sie erfahren, dass Modest Mussorgski in demselben Jahr starb, in dem Maurice Ravel seine ersten Klavierstunden bekam. Ravel wollte Pianist werden – allerdings wurde seine Motivation immer wieder durch Rückschläge gedämpft. Zuerst wurde er am Konservatorium nur in die Vorbereitungsklasse (statt ins ordentliche Studium) aufgenommen, dann musste er erkennen, mit der Virtuosität seiner Kommilitonen nicht mithalten zu können, und schließlich fiel er durch die Zwischenprüfungen. Daraufhin musste er die Klavierklasse verlassen.

Was für den jungen Ravel eine Katastrophe war, ist für uns heute großes Glück: Denn nach seiner erfolglosen Pianistenkarriere wendete sich Ravel dem Komponieren und – ganz besonders wichtig! – dem Orchestrieren zu.

Orchestrieren – also das Einrichten einer Komposition für Orchester – ist eine hohe Kunst. Beim Orchestrieren gibt man einem Stück Farbe. Es ist, als würde man ein Schwarz-Weiß-Bild bunt anmalen.

Mit seiner Orchestration von Mussorgskis Bilder einer Ausstellung sollte Ravel die Orchestrationskunst revolutionieren. Diese Brillanz im Klang, dieser Farbenreichtum, diese absolute Kenntnis jedes einzelnen Orchesterinstruments – es ist einfach Perfektion. (Wir werden uns im Verlauf dieser Artikelserie noch Beispiele ansehen.)

Doch eine Frage drängt sich auf: Warum hat Ravel ausgerechnet Mussorgskis Bilder einer Ausstellung zum Orchestrieren ausgewählt? Eigentlich hätte ja vieles dagegen gesprochen…

…zunächst einmal war Mussorgski kein wirklich bekannter Komponist, schon gar nicht in Frankreich. Außerdem gab es in Paris keinen Mangel an Stücken, die Ravel hätte orchestrieren können: Ravels berühmter Zeitgenossen Claude Debussy hat beispielsweise Klavierstücke geschrieben, die in Paris rauf- und runtergespielt wurden und die sich auch zum Orchestrieren geeignet hätten.

Warum also Mussorgski?

Nun, im Jahr 1922 (Ravel war inzwischen 47 Jahre alt) kamen drei Punkte zusammen, die dazu führten, dass Ravel die Bilder einer Ausstellung orchestrierte:

1) Ein Auftrag hilft.

Wer kann es sich schon leisten, für die Schublade zu schreiben? Ein Auftrag kann immer einen Motivationsschub bewirken. Den Auftrag für die Orchestration der Bilder einer Ausstellung bekam Ravel vom Dirigenten Sergei Kussewizki, der auch die Uraufführung der Orchesterfassung dirigierte.

2) Mussorgski hatte „Fürsprecher“ in Frankreich.

Ein Ehepaar – die Sängerin Marie Olénine und ihr Mann Pierre d’Alheim – hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Mussorgskis Musik in Frankreich bekannt zu machen. Ab 1896 gaben die beiden daher Vorlesungen über Mussorgskis Musik in Paris. Im Publikum saß auch der blutjunge Maurice Ravel, der später in einem Brief an Olénine schrieb:

„Nie werde ich den schon so lange zurückliegenden Tag vergessen, an dem Sie und Ihr Mann uns das Werk von Mussorgski offenbart haben.“

3) Mussorgskis Klavierstück SCHREIT nach einem Orchester!

Mussorgski hat seine Bilder einer Ausstellung zwar für Klavier komponiert, dabei aber das ganze Spektrum des Klavierklangs ausgenutzt. An vielen Stellen hat man deshalb das Gefühl, dass sie einfach unbedingt in ein Orchester gehören!

Beispielsweise lässt Mussorgski Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit dialogartig abwechseln…

…hat keine Scheu, weniger konventionelle Register des Klaviers zu nutzen (zum Beispiel nur das hohe)…

…und schreckt auch nicht davor zurück, den vollen Klavierklang auszureizen:

Mussorgskis besondere Art des Schreibens für Klavier hat dazu geführt, dass im Laufe der Zeit sehr viele Bearbeitungen der Bilder einer Ausstellung entstanden (sogar von Emerson, Lake and Palmer gibt es eine…). Ravels Bearbeitung für Orchester ist jedoch bis heute die mit Abstand am häufigsten gespielte. Das wirft natürlich eine Frage auf, nämlich: warum? 😊

Weil Ravel viel mehr tut, als einfach nur eine Klavierkomposition auf das Orchester zu „übertragen“. Stattdessen „denkt“ er im Orchesterklang.

Mehr dazu in Teil 3.

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