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Der Umbruch (Sommer-2022-Mini-Erlebnis Teil 1/4)

Es war um das Jahr 1800, als eine jahrhundertealte Tradition ins Wanken geriet. Bis zu diesem Zeitpunkt war es üblich, dass Musiker einem Stück „ansehen“ konnten, in welchem Tempo es musiziert werden musste.

Diese Fähigkeit – dieses „Zunftgeheimnis“ – lässt sich gut an Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier (Entstehungszeit: Beginn des 18. Jahrhunderts) nachvollziehen. Hier sehen Sie zwei Stücke aus diesem Werk:

Tempo Vergleich Bach WTK P2 F5

Für Bach und seine Zeitgenossen war es klar, dass das erste Stück in einem schnelleren Tempo gespielt werden musste als das zweite Stück. Ein ergänzendes Vorschreiben des Tempos (eine Tempoangabe) war nicht erforderlich.

Warum?

Taktart, Notenwerte, harmonischer Rhythmus und Charakter des Stücks waren tempobestimmend. In diesem Fall sind die Notenwerte der entscheidende Hinweis: Im ersten Stück sind Sechzehntelnoten (𝅘𝅥𝅯) die kleinste rhythmische Einheit, im zweiten Stück Zweiunddreißigstelnoten (𝅘𝅥𝅰).

Im zweiten Stück müssen also doppelt so viele Noten auf einem Schlag untergebracht werden wie im ersten Stück. Das zweite Stück muss daher in einem langsameren Puls (= einem langsameren Tempo) musiziert werden.

Wie schnell oder langsam genau, das bleibt offen. Hier besteht Spielraum für Interpretation.

Erst später wurden etwas präzisere Tempoangaben gemacht, indem recht allgemeine Wörter wie „Andante“ (gehend) und „Presto“ (schnell) verwendet wurden. Das gibt es beispielsweise in Mozarts Klaviersonate a-Moll KV 310 (Entstehungszeit: 1778):

Mozart KV 310 III

Um 1800 hat sich diese Tradition der Tempoangaben verändert. Man wollte präziser sein. Das Tempo sollte ganz genau angegeben werden können, um Missverständnisse auszuschließen. Die alte Methode war nicht mehr präzise genug.

Eine neue Methode musste geschaffen werden. Eine Methode, die eine ganz genaue Tempoangabe ermöglichte und überall verständlich war.

Gelehrte in ganz Europa gingen an die Arbeit. Wie konnte das Tempo in der Musik präzise gemessen werden? Wie konnte es in den Noten so angegeben werden, dass jeder Musiker es gleich verstand?

Diese Fragen waren der Ausgangspunkt für eine Geschichte, die in einem erbitterten Rechtstreit enden sollte. Es ist eine Geschichte, die von großen Erfindungen handelt – und am Ende von großer Unfairness. Denn zwei Personen beanspruchten für sich, die neue Methode erfunden zu haben.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. G. Koch

    What about Beethoven as a true inventor in his time?

    1. Beethoven played a major role in this development, which will addressed in the upcoming parts of this series 😉

  2. Silvia Martina Möwes

    Alles technisiert ausgedrückt. Die Empathie bleibt aussen vor. Meine Meinung und Erfahrung beruht auf der praktischen Seite. Jede Zeit, in der es keine Taktangaben gab, musse auch das eigene Gefühl für die Schwungkraft der Musik eingesetzt werden. Jeder empfindet anders und so soll es bleiben. Musik ist eine reine Resonanzsache. Möge der Praktiker das immer im Blickfeld haben. Musik durch Takt – und Tempoangaben zu “ digitalisieren“,hat den Sinn von Musik nicht verstanden.

    1. Ulrich Voelkening

      Tempo gaben und Taktangaben sind keine Digitalisierung sondern helfen dem Komponisten deutlich zu machen wie er seine Komposition versteht

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