Klassik-Blüte Beesy-5
Inhaltsverzeichnis
Manifest – Betrachter vs. Eintaucher
Als Dirigent bin ich Teil der Klassik-Branche. Wenn ich ein Konzert oder eine Oper dirigiere, bekomme ich in den Tagen danach oft Nachrichten von Menschen aus dem Publikum, die mir schreiben, wie schön sie dieses Erlebnis fanden.
Das freut mich, denn es ist das Publikum, das ich mit der Musik erreichen möchte.
Aber eine Sache fällt mir dabei immer wieder auf: Alle Menschen, die ein klassisches Konzert besuchen, gehören zu einem von zwei „Lagern“.
Das erste „Lager“ besteht aus Leuten, die klassische Musik ausschließlich konsumieren: Sie gehen ins Konzert, hören sich dort eine Beethoven-Symphonie an, gehen nach Hause und sind glücklich. Wunderbar. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Ich nenne diese Leute Betrachter. Die meisten Leute, die ein klassisches Konzert besuchen, sind Betrachter.
Das zweite „Lager“ besteht aus Leuten, die sich schon VOR dem Konzert intensiver mit der klassischen Musik beschäftigt haben.
Ich nenne diese Leute Eintaucher. Eintaucher sind viel seltener als Betrachter. Das ist schade, weil Eintaucher IMMER die Leute sind, die den größeren Musikgenuss erleben.
Eintaucher wissen, dass klassische Musik unglaublich bunt und vielfältig ist. Aufregend. Dramatisch. Genial. Zu Tränen rührend und manchmal sogar urkomisch. Nur eins ganz sicher nicht: trocken.
Wir (die Klassik-Branche) könnten so viel mehr Menschen für klassische Musik begeistern, wenn wir sie dabei unterstützen würden, vom Betrachter zum Eintaucher zu werden. Aber es ist grotesk: Man kann das Gefühl bekommen, wir tun genau das Gegenteil.
Klassische Musik tritt immer in Begleitung einer ominösen „Hemmschwelle“ auf – diese „Hemmschwelle“ trennt die Betrachter von den Eintauchern.
Keiner kann sagen, wie hoch diese Schwelle genau ist. Klar ist aber, dass die Klassik-Branche viel dazu beigetragen hat, dass sie überhaupt entstanden ist. Wegen eines bestimmten Habitus, bestimmter Normen und Konventionen gilt das Umfeld von klassischer Musik oft als angestaubt, vergeistigt und abgehoben.
Es ist aber möglich, die „Hemmschwelle“ zu überschreiten und vom Betrachter zum Eintaucher zu werden.
Dann passiert fast immer etwas Magisches. Ich bin als Dirigent in der glücklichen Position, diese „Magie“ durch Rückmeldungen von Konzertbesuchern regelmäßig miterleben zu dürfen.
Meine beiden Lieblingsbeispiele:
- Ein 72 Jahre alter Konzertbesucher, der klassische Musik immer als Hintergrundmusik zum Essen abgespielt hat. Nach dem Überschreiten der „Hemmschwelle“ fängt er plötzlich an, Youtube auf der Suche nach Aufnahmen von Beethoven-Symphonien regelrecht zu DURCHWÜHLEN.
- Eine 59 Jahre alte Konzertbesucherin, die außer der Musik von Johann Sebastian Bach fast nichts anderes gehört hat. Nach dem Überschreiten der „Hemmschwelle“ beschließt sie, dass Mozart „auch eine Chance verdient hat“.
Diese beiden Beispiele sind zwar mit die aussagekräftigsten, sie sind aber keineswegs die einzigen. Ich könnte Dutzende solcher Beispiele aufzählen. Aber das ist nicht der Punkt.
Der Punkt ist: Die Menschen, die von klassischer Musik am meisten begeistert, überwältigt und mitgerissen werden, sind Eintaucher. Und: Je intensiver das Eintauchen in die klassische Musik, desto größer die Begeisterung.
Die Frage ist: Was haben die Eintaucher getan, um die „Hemmschwelle“ zu überschreiten? Wie wird man vom Betrachter zum Eintaucher?
Dazu möchte ich Ihnen gerne eine Geschichte erzählen, die mit klassischer Musik (scheinbar) überhaupt nichts zu tun hat.
Die Gebrüder Wright waren US-amerikanische Pioniere der Luftfahrt. Sie waren möglicherweise die ersten Menschen überhaupt, die in einem Motorflugzeug geflogen sind.
Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. Am Anfang dieses Weges stand die Begeisterung für das Fliegen.
Mit dieser Begeisterung sind die Gebrüder Wright aber nicht auf die Welt gekommen. Vielmehr wurde sie Schritt für Schritt entwickelt, weil die beiden Brüder immer wieder Kontakt zum Fliegen hatten:
- Als Kinder spielten sie mit einem Schraubenflieger-Spielzeug, das ihnen ihr Vater geschenkt hatte.
- Als Teenager experimentierten sie mit selbst gebauten Drachen.
- Als Erwachsene verfolgten sie gespannt die Fortschritte der Luftfahrt-Pioniere Mouillard und Lilienthal.
Mit jedem Kontakt wuchs bei den Gebrüdern Wright die Begeisterung für das Fliegen. Dieser Effekt ist sogar ziemlich gut erforscht und heißt in der Psychologie Mere-Exposure-Effekt: Eine zuerst neutral beurteilte Sache wird allein durch ihre wiederholte Wahrnehmung immer positiver bewertet.
Die Gebrüder Wright waren nun also begeistert von der Luftfahrt – aber selbst geflogen waren sie noch nicht. Mit anderen Worten: Sie waren Betrachter.
Dann kam der Mai 1899 – der Monat, in dem die Gebrüder Wright die „Hemmschwelle“ überschritten und so von Betrachtern zu Eintauchern wurden.
Die Begeisterung für das Fliegen war inzwischen so groß geworden, dass die Brüder Literatur ÜBER das Fliegen bei einem Institut in Washington bestellten. Diese Literatur war für sie nun SPANNEND und INTERESSANT, weil sie vom Fliegen selbst so begeistert waren.
Das setzte einen Kreislauf in Gang, der nicht mehr zu stoppen war: Das Lesen ÜBER das Fliegen ermöglichte den Brüdern, das Fliegen selbst ganz anders wahrzunehmen. Diese neuen Wahrnehmungen motivierten sie wiederum dazu, noch mehr ÜBER das Fliegen herauszufinden…
…bis am Ende etwas stand, das am Anfang niemand erwartet hätte: Die Gebrüder Wright bauten ein Motorflugzeug und flogen damit.
Es ist dieser Kreislauf, der dazu führt, dass man vom Betrachter zum Eintaucher wird, weil Emotion und Intellekt zusammenwirken. Ein Emotionserlebnis ist an ein Informationserlebnis gekoppelt:
Sie können den Kreislauf in jedem Bereich finden – auch in der klassischen Musik.
Den Mere-Exposure-Effekt haben Sie sicher schon selbst erlebt. Stellen Sie sich ein Musikstück vor, das Sie besonders gernhaben.
Irgendwann einmal haben Sie dieses Stück zum ersten Mal gehört. Vielleicht mochten Sie es bereits beim ersten Mal, vielleicht fanden Sie es auch einfach nur „in Ordnung“ – jedenfalls war Ihre Begeisterung nicht so groß wie heute.
Aller Wahrscheinlichkeit nach haben Sie das Musikstück dann über einen längeren Zeitraum immer mal wieder gehört. Und was ist passiert? Das Stück ist auf wundersame Weise besser und besser geworden.
Wenn Sie jetzt etwas ÜBER Musik konsumieren würden, das SPANNEND und INTERESSANT ist, würden Sie die „Hemmschwelle“ überschreiten. Sie würden „Appetit“ darauf bekommen, mehr klassische Musik zu hören, wodurch Sie wiederum mehr ÜBER klassische Musik erfahren möchten, und so weiter…
…wenn es da nicht ein großes ABER gäbe.
Den oberen Teil des Kreislaufs durchlaufen Sie intuitiv – genau wie die Gebrüder Wright.
Die Wrights haben immer wieder das Fliegen betrachtet, weil es ihnen Spaß gemacht hat. Und Sie hören ein Musikstück, das Ihnen gut gefällt, gerne immer wieder – das passiert fast automatisch.
Doch für den unteren Teil des Kreislaufs braucht es einen externen Impuls – bei den Gebrüdern Wright waren das Bücher, durch die sie sich „durchkämpfen“ mussten.
In der klassischen Musik ist der externe Impuls die sogenannte „Musikvermittlung“. Und genau hier liegt das Problem.
Eigentlich wäre es die Aufgabe der „Musikvermittlung“, Ihnen auf SPANNENDE und INTERESSANTE Art und Weise zu ermöglichen, etwas ÜBER klassische Musik zu konsumieren. Das Problem ist, dass die konventionellen Methoden der Musikvermittlung das kaum leisten können.
Ich möchte Ihnen gerne erklären, warum. Dazu teile ich die Methoden der Musikvermittlung in zwei Gruppen ein:
- Texte über Musik
- Vorträge, Videos, Erklärkonzerte
Beide Gruppen ERSCHWEREN (höchsteffizient!), dass Sie den oben beschriebenen Kreislauf erfolgreich durchlaufen können. Oft VERHINDERN sie es sogar regelrecht.
In der ersten Gruppe – Texte über Musik – wird das Informationserlebnis vom Hörerlebnis getrennt. Wenn Sie einen Text lesen, lesen Sie zwar etwas über die Musik, aber Sie hören die Musik nicht gleichzeitig. Das intellektuelle Erlebnis ist vom emotionalen Erlebnis getrennt.
Die Methoden der zweiten Gruppe sind nicht interaktiv genug. In einem Vortrag, Video oder Erklärkonzert werden Informations- und Hörerlebnis zwar kombiniert, aber Sie selbst tun nichts mit der Musik.
Mit anderen Worten, Sie betrachten wieder, statt einzutauchen. Mit dem einzigen Unterschied, dass Ihnen diesmal jemand zeigt, WIE Sie zu gucken haben…
Klar gibt es Menschen, die sich durch diese „angestaubten“ Methoden „durchkämpfen“ (so wie die Gebrüder Wright durch ihre Bücher). Das ist dann der geringe Anteil an Eintauchern, die es im Konzertpublikum bereits gibt.
Die meisten bleiben aber auf der Strecke, weil das Durchlaufen des Kreislaufs mit den angestaubten Methoden der konventionellen Musikvermittlung zu mühsam, zu fummlig, zu theoretisch und zu langatmig ist.
Ich bin der Überzeugung, dass es einen besseren Weg gibt. Einen Weg, der ermöglicht, dass interessierte Menschen den Kreislauf schneller und angenehmer durchlaufen können, dadurch zu Klassik-Eintauchern werden und viel, viel mehr Freude an der klassischen Musik haben.
Dieser Weg muss auf den folgenden 6 Prinzipien aufbauen:
1) Grafik statt Text.
Grafiken können viel intuitiver aufgenommen werden als Text. Sie sind bunter, lustiger und spaßiger als ein trockener Programmtext. Natürlich soll der Text nicht vollständig verbannt werden. Der Schwerpunkt muss aber auf visuellen Darstellungen liegen.
2) Interaktive Erlebnisse.
Mit den Grafiken müssen Sie etwas tun können. Sie müssen sich die Hände schmutzig machen können, sich in das Erlebnis hineinstürzen können. Sie wissen ja – je intensiver das Eintauchen, desto toller das Erlebnis.
3) Gleichzeitigkeit von Hören und Sehen.
Die interaktiven Grafiken müssen mit einem sofortigen Hörerlebnis kombiniert werden. Sie „erkunden“ zum Beispiel einen Abschnitt einer Beethoven-Symphonie, indem Sie auf eine grafische Darstellung dieses Abschnitts klicken. Sofort hören Sie den entsprechenden Abschnitt. Informations- und Emotionserlebnis sind (wie im Kreislauf) miteinander verzahnt und führen so zu einem intensiven Erlebnis.
4) Wirkung statt Theorie.
Vielleicht können Sie mit den Begriffen „Tonart“ und „Dominante“ etwas anfangen. Das ist schön. Ich finde aber nicht, dass Sie sie kennen müssen, um von klassischer Musik begeistert zu sein. Viel wichtiger ist, dass Sie ihre Wirkung begreifen können. Die interaktiven Grafiken müssen entsprechend gestaltet sein.
5) Kontext erfahren.
Wie ging es Beethoven, als er seine 5. Symphonie geschrieben hat? Womit hat er sich beschäftigt? Wie war das politische Klima in Wien zu dieser Zeit? All das ist spannender Kontext, der zu einem intensiveren Erlebnis beiträgt. Auch für diesen Kontext gelten natürlich die Prinzipien 1) bis 4).
6) Vergleichen.
Vergleiche sind eine Superkraft. Warum klingt Beethovens Musik manchmal so ähnlich, manchmal so anders als die Musik seiner Zeitgenossen? Wenn Sie sich damit beschäftigen, vervielfachen Sie Ihren Erkenntnisgewinn, denn Sie erfahren mehr über Beethoven und seine Zeitgenossen.
Aus diesen 6 Prinzipien lässt sich Folgendes ableiten: Man muss die Möglichkeiten, die einem die modernen Medien bieten, einfach mal nutzen. Ein Online-Erlebnis ist das passende Format, denn darin können die sechs Prinzipien bequem umgesetzt werden.
Die Klassik-Blüte zu Beethovens 5. Symphonie (kurz „Beesy-5“) ist ein solches Online-Erlebnis. Beesy-5 erscheint am 23. September. Aus diesem Anlass veröffentliche ich zwischen dem 19. und 22. September eine vierteilige Serie, in der es darum geht, wie der Genuss an klassischer Musik gesteigert und intensiviert werden kann.
Alle Teile der Serie finden Sie im folgenden Archiv.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit,
Jonathan Stark
Archiv (Einführungsserie)
Inhalte von Beesy-5
Beesy-5 besteht aus 4 Modulen, die insgesamt dazu führen, dass Sie den Kreislauf zur Steigerung des Hörgenusses in Gang setzen können:
- Werkfahrplan
Um den Hörgenuss erfolgreich steigern zu können, müssen Sie der Musik zuerst folgen können. Dazu braucht es Führung. Diese Führung wird durch den Werkfahrplan bereitgestellt. Der Werkfahrplan ist eine interaktive Grafik, in der Sie die Dramaturgie von Beethovens 5. Symphonie erkennen, indem Sie das Werk aus der Vogelperspektive betrachten. Sie „erkunden“ die Symphonie Stück für Stück und in Ihrem eigenen Tempo. - Werkstatt
Nachdem Sie sich im Werkfahrplan einen Überblick über Beethovens 5. Symphonie verschafft haben, geht es in der Werkstatt mehr ins Detail. Sie schauen Beethoven beim Komponieren „über die Schulter“: In interaktiven Grafiken vollziehen Sie nach, wie Syntax und Struktur eines Abschnitts der Symphonie entstehen. - 3-D-Zeitstrahl
Hier tauchen Sie in den Kontext der Entstehungsgeschichte von Beethovens 5. Symphonie ein. In einem interaktiven Zeitstrahl erleben Sie 3 historische Dimensionen: Beethoven, wie er seine 5. Symphonie schreibt, einen Komponistenkollegen Beethovens, der ebenfalls eine Symphonie schreibt, und eine zentrale politische Persönlichkeit. - Vergleich
Hier vergleichen Sie Beethovens 5. Symphonie mit einer Symphonie des Komponisten, den Sie bereits im 3-D-Zeitstrahl kennengelernt haben. Sie werden die Besonderheiten beider Werke hörend nachvollziehen.
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Fragen und Antworten
Weil es in der Musikgeschichte immer wieder sogenannte „Schlüsselwerke“ gegeben hat. Das sind Werke, die wie Felsen in der Brandung stehen und einen Bezugspunkt markieren für alles, was danach geschrieben wird.
Beethovens 5. Symphonie ist so ein Schlüsselwerk.
Wenn Sie sich mit einem Schlüsselwerk beschäftigen, steigern Sie nicht nur Ihren Genuss an diesem Werk, sondern ganz „nebenbei“ auch an vielen anderen Werken. Das liegt an der Strahlkraft dieser Schlüsselwerke.
Dazu müssen Sie aber in EIN Schlüsselwerk TIEF eintauchen. Sich mit VIELEN Werken OBERFLÄCHLICH zu beschäftigen, bringt gar nichts.
Beesy-5 gibt es zwischen Freitag (23.09.) und Montag (26.09.) zum Einführungspreis von 40 €.
Ab Dienstag (27.09.) um 00:01 Uhr wird Beesy-5 für 70 € erhältlich sein.
Ja. Wenn Ihnen Beesy-5 nicht gefällt, bekommen Sie bis 14 Tage nach dem Kauf den Preis ohne Angabe von Gründen erstattet.
Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben, hinterlassen Sie gerne unten einen Kommentar.