„Das Notwendigste und das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo.“ Das schrieb Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1777 in einem Brief an seinen Vater. Gilt das auch noch heute?
Das lesen Sie in diesem Artikel:
In der letzten Woche habe ich gemeinsam mit Adrian, dem Musiktheorie-GurUHU, den Begriff Tempo etwas näher beleuchtet (hier geht es zum Artikel). Doch was haben die Weltstars der klassischen Musik dazu zu sagen? Von einem wirklichen Weltstar – Mozart – stammt folgende Aussage:
„Das Notwendigste und das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo.“
Zitate zu interpretieren, ist immer eine schwierige Sache. Vor allem, wenn sie mehrere Jahrhunderte alt sind. Dass das Tempo „das Notwendigste“ und „die Hauptsache“ in der Musik ist, darüber besteht auch in der heutigen Musikwelt größtenteils Konsens. Das Tempo ist zweifellos eine der mächtigsten Stellschrauben, mit der Charakter und Wirkung eines ganzen Musikstücks gesteuert werden können.
Mozart musizierte anders
Problematisch: Mozarts Aussage wird gerne darauf verkürzt, dass das Tempo „das Härteste“ in der Musik sei. Entsprechend häufig wird Mozart als Kronzeuge für die Vermutung herangezogen, dass ein einmal gewähltes Tempo stur durchgehalten werden müsse. Doch diese Auffassung lässt einen entscheidenden Punkt außer Betracht: die Musizierpraxis, die sich im Laufe der Zeit fundamental verändert hat.
Niemand von uns wird Mozart jemals Klavier spielen hören – doch zumindest zwei Dinge dürfen als historisch gesichert gelten. Erstens: Wenn Mozart Klavier spielte, war das ein fulminantes Ereignis. Zweitens: Mozart war schon zu Lebzeiten für sein Rubato berühmt.
Das Rubato als entscheidender Tempofaktor
Beim Rubato handelt es sich um eine Spielpraxis, bei der die Begleitung streng im Takt bleibt, die Melodiestimme sich jedoch große Freiheiten nimmt, indem sie ständig vorauseilt oder zurückbleibt. Diese hohe Kunst kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts außer Mode. Wenn wir heute den Begriff Rubato verwenden, meinen wir in der Regel etwas anderes: Wir beziehen uns auf Temposchwankungen im musikalischen Geschehen insgesamt (also: Begleitung und Melodie).
Aufgrund dieses Bedeutungswandels des Begriffes Rubato ist es schwierig, Mozarts Aussage über das Tempo auf die heutige Musizierpraxis zu übertragen. Wenn man, so wie Mozart, eine Musizierpraxis pflegt, die reich an Rubato ist, tut man gut daran, das Tempo als „das Härteste in der Musik“ zu betrachten – denn nur durch das „harte“ Festhalten der Begleitung am Tempo kann die Oberstimme ihre ganze Freiheit entfalten.
Wenn das Rubato jedoch nicht mehr Teil der Musizier-DNA ist – so wie heute – ist es meiner Meinung nach legitim, ein Musikstück auch durch minimale Temposchwankungen zu interpretieren. Das „sture“, gleichmäßige Tempo ist dann nur ein Spezialfall.
Jonathan Stark – Dirigent
Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.