Parlando ist der Rap der klassischen Musik. Es ist eine Gesangstechnik, die zwischen dem Gesang und dem Sprechen steht und gar nicht so einfach umzusetzen ist. Besonders in der Oper wird dieses Stilmittel gerne verwendet. Lesen Sie hier, was Parlando ist und woran Sie es erkennen.
Das lesen Sie in diesem Artikel:
Parlando: eine Definition
Das Wort Parlando ist italienisch und bedeutet „sprechend“. Seltsam – in der Oper wird doch gesungen, oder nicht? Wäre es sonst nicht Sprechtheater?
Das ist schon richtig – in der Oper wird hauptsächlich gesungen, auch wenn es bestimmte Musiktheaterformen gibt, in denen sich gesungene und gesprochene Passagen abwechseln (zum Beispiel im Singspiel).
Mit dem Parlando ist in der Musik aber keine gesprochene Passage gemeint, sondern eine bestimmte Art zu singen, die dem Sprechen ähnlich ist. Es handelt sich sozusagen um den Rap der klassischen Musik 😊
Parlando ist ein schnelles, deutlich artikuliertes, leichtes und rhythmisch genaues Singen, das dem Sprechgesang ähnlich ist.
Definition von Parlando
Vier Zutaten für ein gutes Parlando
Nun wissen Sie also, was in der Oper mit dem Parlando gemeint ist. Aber woran erkennen Sie ein Parlando, wenn Sie es hören? Anders gefragt: Was muss ein Opernsänger tun, um es zu produzieren?
Dazu müssen vier Aspekte zusammenkommen. Ich nenne sie die vier Zutaten für ein gutes Parlando:
1) Schnelligkeit
Die erste Zutat betrifft das Tempo. Das Tempo einer Passage muss angemessen schnell sein. Anders ausgedrückt: Es gibt kein langsames Parlando, denn das käme dem „normalen“ Sprechen gleich.
Hier ergibt sich natürlich die Frage, was denn „angemessen schnell“ bedeutet. Tatsächlich ist das nicht eindeutig festgelegt, denn nicht jeder zieht die Grenze zwischen dem „gewöhnlichen“ Operngesang und dem Parlando an derselben Stelle. Mehr dazu lesen Sie später in diesem Artikel, wenn wir uns zwei Beispiele ansehen.
2) Deutlichkeit
Die zweite Zutat stammt aus dem Bereich der Artikulation. Die Musikpassage muss deutlich artikuliert werden, was Sie in der Oper daran erkennen können, dass Sie den Text verstehen. Gute Opernsänger achten auf die Textverständlichkeit.
Zwischenfazit: Wenn Sie in der Oper eine (sehr) schnelle Passage hören, deren Text Sie noch gut verstehen können, handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Parlando.
3) Leichtigkeit
Die dritte Zutat betrifft die Gesangstechnik. Schließlich wäre es möglich, schnell und deutlich zu singen, dabei aber mit der Stimme derartig zu „drücken“, dass die Passage schwer und behäbig klingt. Das wäre kein Parlando.
Ein Parlando muss spritzig, leicht und mühelos wirken. „Wirken“ ist das Zauberwort, denn ein Parlando ist für den Opernsänger nicht leicht. Gute Opernsänger erkennen Sie daran, dass Sie die technischen Schwierigkeiten, die diese Profis bewältigen müssen, beim Zuhören nicht bemerken.
Manche Stimmfächer sind übrigens geradezu prädestiniert für diese Technik. Meistens sind das die Stimmfächer, die lustige oder tragikomische Opernrollen übernehmen, zum Beispiel der Bassbuffo. Vielleicht liegt das daran, dass man im Parlando den Text so gut versteht – denn das ist bei einem „Joke“, der die Stimmung in der Oper auflockern soll, ja entscheidend.
4) Genauigkeit
Die vierte Zutat stammt aus dem Bereich des Rhythmus. Ein überzeugendes Parlando kommt nur dann zustande, wenn der Rhythmus präzise eingehalten wird.
Hier darf nicht geschludert werden! Die rhythmische Präzision ist vielleicht sogar die wichtigste Zutat, denn wenn sie ignoriert wird, ist es kaum noch möglich, eine Passage schnell, deutlich und leicht darzubieten. Die Missachtung der rhythmischen Genauigkeit zieht also die anderen drei Zutaten in Mitleidenschaft.
Parlando oder kein Parlando, das ist die Frage
Nun kennen Sie die Zutaten für ein gutes Parlando. Aber erkennen Sie es auch, wenn Sie es hören? Das ist nämlich gar nicht so einfach, weil die Grenzen zwischen dieser Technik und dem „gewöhnlichen“ Gesang fließend verlaufen können. Das möchte ich Ihnen gerne an zwei Beispielen zeigen.
Parlando – ja oder nein? (1)
Sehen Sie sich die Arie des Monostatos aus Mozarts Zauberflöte an:
Lassen Sie uns die Zutaten durchgehen:
Erstens ist das Tempo angemessen schnell, obwohl es auch andere Interpretationen dieser Arie gibt, die wesentlich schneller sind (was Mozart wohl selbst zu diesem Tempo gesagt hätte? Hier bekommen Sie eine Idee davon). Zweitens artikuliert Uwe Peper, der in diesem Video den Monostatos spielt, sauber und deutlich. Drittens gibt es auch an Uwe Pepers perfekter Gesangstechnik nichts zu mäkeln, die für eine vorbildliche Textverständlichkeit sorgt. Und viertens hält sich Uwe Peper präzise an Mozarts notierten Rhythmus.
Alle Zutaten, die ich weiter oben benannt habe, sind vorhanden. Aber kommt dieses Beispiel einem Sprechgesang wirklich nahe genug, um es als Parlando bezeichnen zu können?
Mit solchen „unsauberen“ Definitionen und Beispielen hat man es in der Musik immer wieder zu tun. Die Musik ist eben doch nicht wie Physik oder Mathematik, sondern eine Kunstform. Zur Kunst gehört immer Interpretationsspielraum.
Deshalb können Sie nur selbst entscheiden, ob Monostatos‘ Arie für sie schon ein Parlando ist oder noch nicht. Dirigenten, Sänger und Regisseure müssen solche Entscheidungen bei jedem Stück treffen, weil die Interpretation von der Entscheidung beeinflusst wird.
Parlando – ja oder nein? (2)
Noch ein Beispiel, diesmal aus der Operette. In Die Fledermaus von Johann Strauss ist Gabriel Eisenstein wütend auf seinen Rechtsanwalt:
Lassen Sie uns das Parlando-Rezept erneut durchgehen:
Das Tempo ist schnell und Thomas Allen, der Eisenstein in diesem Video, artikuliert mit vorbildlicher Deutlichkeit. Darüber hinaus überzeugt Thomas Allen sowohl mit seiner Leichtigkeit in der Stimme als auch mit seiner rhythmischen Präzision.
Wieder sind alle Zutaten vorhanden. Aber ist es ein Parlando? Sie wissen ja: Interpretation. Es gibt Argumente dafür und dagegen, woraus sich eine fruchtbare Diskussion ergeben kann – zum Beispiel in der nächsten Opernpause 😊
Jonathan Stark – Dirigent
Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.