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Pianist Pawel Markowicz: Philip Glass‘ Musik als „spannendes Rätsel“

Der Pianist Pawel Markowicz hat geschafft, wovon viele Solisten träumen – er gilt als Spezialist für ein bestimmtes Repertoire. Pawels Fokus gilt den Werken des US-amerikanischen Komponisten Philip Glass, dessen Symphony No. 8 er in jahrelanger Detailarbeit für Klavier solo arrangiert und im August 2020 als Album veröffentlicht hat. Im StarkConductor Interview hat mir Pawel einen Einblick in seine Arbeit gewährt.

Lieber Pawel, die Musik des amerikanischen Komponisten Philip Glass bildet seit geraumer Zeit einen Schwerpunkt deiner pianistischen Tätigkeit. Wie begann deine Beschäftigung mit Philip Glass und wie hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?

Meine erste Berührung mit der Musik von Philip Glass war durch einen Film. Ich war 11 oder 12 Jahre alt, als mir mein Bruder Peter Weirs Die Truman Show empfohlen hat. Der Soundtrack stammt von Burkhard Dallwitz und Philip Glass. Auch die Musik zweier meiner Landsmänner, Wojciech Kilar und Fryderyk Chopin, kommt im Film vor. Die Schlichtheit der Kompositionen, die jedoch eine enorme Spannung und Atmosphäre aufbauen, hatte eine starke Wirkung auf mich.

Glass hat das Klavierthema aus dem Film im Mittelsatz seines Tirol Piano Concerto verarbeitet. Mit Unterstützung von Frau Prof. Imola Joó, meiner damaligen Lehrerin im Klavier-Vorbereitungslehrgang an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, konnte ich dieses Konzert schon früh studieren und zur Aufführung bringen. Ich begann, die zahlreichen Aufnahmen der Musik von Glass zu hören, und nahm jede Gelegenheit wahr, zu einer Ur- oder Erstaufführung in Österreich oder einem Nachbarland zu fahren.

In den letzten Jahren hatte ich das Glück, viele von Glass‘ Werken selbst auf die Bühne bringen zu können. Einige meiner schönsten Konzerterlebnisse waren das Double Piano Concerto 2016 in Ungarn und die österreichische Erstaufführung von Philip Glass‘ zweitem Klavierkonzert After Lewis and Clark 2019 im Wiener Konzerthaus. Die Symphony for Solo Piano ist das Werk, mit dem ich mich am längsten befasst habe und das meinen sehr persönlichen Zugang zu seiner Musik darstellt.

Mit deinem jüngst erschienenen Debüt-Album hast du eine gewaltige Herausforderung bewältigt. Du hast Philip Glass‘ Symphony No. 8 für Klavier solo arrangiert und anschließend eingespielt. Diese Symphonie gilt als eines der komplexesten Werke im Oeuvre des Komponisten. Wie lange hast du dich mit dem Projekt beschäftigt und welche Hürden waren im Entstehungsprozess zu überwinden?

Die Arbeit an der Symphony for Solo Piano begann im Jahr 2006. Dabei war es eher Verblüffung als Liebe auf den ersten Blick. Nach der österreichischen Erstaufführung der Symphony No. 8 in Innsbruck war ich überrascht von der Dichte und Komplexität des Werkes. Ich fühlte mich wie vor ein spannendes Rätsel gestellt und bestellte mir die Partitur.

Zu diesem Zeitpunkt stand ich am Anfang meines Klavier- und Dirigierstudiums. Ich wollte das Stück spielen, also begann ich, den 1. Satz für Klavier zu transkribieren ­– bis mir die Finger ausgingen und ich ratlos das Werk als unspielbar erklärte. Dennoch kam ich immer nach einigen Wochen oder Monaten zurück, revidierte und baute weiter.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Symphony for Solo Piano im Lisztzentrum Raiding aufgenommen wurde. In den Aufnahmepausen erinnerte mich die Liszt-Büste vor Liszts Geburtshaus daran, dass sich auch große Komponisten wie er mit der Übersetzung eines Orchesterklanges auf das Klavier befasst haben.

Pawel Markowicz' Debüt-Album "Symphony for Solo Piano"
Pawel Markowicz' Debüt-Album "Symphony for Solo Piano".

Die Herausforderung beim Arrangement dieser Symphonie waren die vielen gleichzeitig laufenden Patterns. Im Orchester lassen sie sich aufteilen, aber sie durchgehend am Klavier darzustellen, erfordert etwas Raffinesse und manchmal auch einen Kompromiss. Mit der Überlagerung mehrerer Themen im ersten Satz webt Glass eine energiereiche, schillernde Textur, während er im zweiten Satz – einer Passacaglia – mitunter in Richtung Bitonalität geht. Das mit vier Spielern besetzte Schlagwerk einzubinden bedeutete, auch der Triangel im dritten Satz eine Tonhöhe am Klavier zuzuweisen.

Als ich über die Jahre diesen „Tribute to Glass“ fertigstellte, war es mir stets wichtig, so originalgetreu wie möglich zu bleiben und nichts kompositorisch Essenzielles zu verlieren. Dadurch war die eigentlich größte Herausforderung – abgesehen von den spieltechnischen Aspekten ­– das Stück so weit zu bringen, um es guten Gewissens dem Komponisten zeigen zu können. Insgesamt sind etwa 14 Jahre von der ersten Skizze bis zur Veröffentlichung des Albums vergangen.

(Pawels Debüt-Album Symphony for Solo Piano ist im August 2020 bei Orange Mountain Music erschienen und auf Apple Music, iTunes, Spotify und Amazon Music erhältlich.)

Neben Werken von Philip Glass beherrschst du auch jene Stücke, die gemeinhin zum „Standardrepertoire“ des typisch klassischen Pianisten zählen – ich hatte beispielsweise das Vergnügen, dich als Solist in Mozarts Klavierkonzert d-Moll KV 466 im Wiener Konzerthaus zu erleben. Da du mit deinem Repertoire eine große stilistische Bandbreite abdeckst, würde mich interessieren, ob es in deiner Arbeit zu „Wechselwirkungen“ zwischen den einzelnen Stilistiken kommt. Überspitzt formuliert: Spielst du Mozart anders, wenn du vorher Glass gespielt hast?

Schön, dass du Mozart d-Moll ansprichst, weil ich dazu eine besondere Verbindung habe. Als eines meiner absoluten Lieblingsklavierkonzerte war es das erste, das ich vom Klavier aus dirigieren durfte. Damit wurde ein Traum für mich wahr. Diese Musizierpraxis erfordert eine spezielle Art von Interaktion und Aufmerksamkeit. Sie liegt auch ganz in der Tradition der Wiener Klassik, wo die Aufgabenteilung noch nicht so streng war und ein Musiker komponieren, spielen, improvisieren und leiten konnte, so ähnlich, wie man es heute in der Jazzwelt findet.

Pawel Markowicz (c) Theresa Pewal
Gilt als Spezialist für die Musik von Philip Glass, leitet aber auch Mozart-Klavierkonzerte vom Instrument aus: der Pianist Pawel Markowicz. (© Theresa Pewal)

Durch diese Annäherung an Musik aus verschiedenen Richtungen gewinnt man neue Perspektiven. So ähnlich sehe ich die von dir angesprochenen „Wechselwirkungen“. Außerdem genieße ich die Abwechslung, aus so vielen verschiedenen Stilrichtungen schöpfen zu können. Ich kann Mozart spielen und brauche dann nur ins Regal zu greifen, um Gershwin herauszunehmen. Dazwischen liegen 150 Jahre und ein Ozean, die Technologie hat sich entwickelt, die Gesellschaft verändert, doch Mozarts und Gershwins Emotionen sind grundsätzlich dieselben. Beide kannten Glück und Trauer, den Genuss einer guten Speise oder die Stiche eines eisigen Nieselregens.

Ich glaube, Mozart wäre höchst interessiert an den musikalischen Entwicklungen der Moderne. Weil wir vorhin ausführlich über Glass gesprochen haben: Im Mittelteil des zweiten Satzes von Mozarts d-Moll-Klavierkonzert muss ich jedes Mal schmunzeln, wenn die Holzbläser Offbeat-Harmonien haben und das Klavier darunter arpeggierte Akkorde spielt.

Lieber Pawel, vielen Dank für das Gespräch!

(Die nächste Möglichkeit, Pawel Markowicz live zu erleben (trotz Corona), bietet sich bereits am 05. Dezember 2020 um 17 Uhr (mitteleuropäische Zeit). Pawel spielt Werke von Glass, Kurtág, Pärt, Cage und Hauer in einem Livestream-Konzert.)

Pawel Markowicz

Pawel Markowicz

Pawel Markowicz etabliert sich auf heimischen wie internationalen Konzertbühnen dank seiner außergewöhnlichen künstlerischen Vielseitigkeit, die bereits zur Zusammenarbeit mit Musikern wie Andreas Ottensamer, Igudesman & Joo, Helene Fischer, Ensemble Kontrapunkte und Thomas Hampson geführt hat. 2020 erschien mit SYMPHONY FOR SOLO PIANO die Aufnahme seines autorisierten Klavierarrangements der 8. Symphonie von Philip Glass als Weltersteinspielung beim Label des Komponisten, Orange Mountain Music. Die Aufnahme erreichte Platz 2 (Österreich) und Platz 5 (USA) in den iTunes Klassik Charts. Unlängst erfolgten Auftritte im Wiener Konzerthaus mit der österreichischen Erstaufführung von Glass’ 2. Klavierkonzert „After Lewis and Clark“ und Gershwins Rhapsody in Blue bei Disneys „Fantasia Live in Concert“. Weiteren Einladungen folgte Markowicz an Häuser wie den Musikverein Wien, das Congress Center Villach und die Hitomi Memorial Hall Tokyo. Außerdem ist er mehrfach von der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor als Korrepetitor für die Produktionen der Salzburger Festspiele berufen worden.

Als Solist konzertierte er unter anderem mit dem Savaria Symphonieorchester, der Konzertvereinigung Wien und dem Max Steiner Orchestra. Er leitete das Akademische Symphonieorchester der Wirtschaftsuniversität Wien vom Klavier aus und spielte als Orchesterpianist beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien, beispielsweise seit 2018 bei „Christmas in Vienna“. Darüber hinaus war er bei den Musikwochen Millstatt, den Laxenburger Schlosskonzerten, Wien Modern, auf einer Asien-Tournee als Pianist mit dem Wiener Singverein und bei der ungarischen Erstaufführung des Konzerts für zwei Klaviere und Orchester von Philip Glass zu hören.

Pawel Markowicz wurde in Krakau geboren und wuchs in Österreich auf. Er absolvierte das Bachelorstudium Klavier an der MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und studierte Dirigieren, Musikerziehung und Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 2018 schloss er das Masterstudium Chordirigieren an der Kunstuniversität Graz ab. Namhafte Sommerfestivals wie das Aspen Music Festival and School und der Hollywood Music Workshop ergänzen seine umfassende Ausbildung. Seine künstlerische Tätigkeit wurde durch zahlreiche Stipendien gefördert, darunter vier Leistungsstipendien und das Startstipendium des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.

Er war Dirigent bei Filmmusikaufnahmen, unter anderem für Reinhold Bilgeris Biopic „Erik & Erika“. Darüber hinaus ist er als TV-Regieassistent seit 2012 bei „Hollywood in Vienna“ und 2020 bei „Red Bull Symphonic“ sowie als Herausgeber und Bearbeiter für die Verlage Doblinger und Universal Edition tätig.

(September 2020)

Jonathan Stark – Dirigent
Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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