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Teatro La Fenice – ein Drama in drei Bränden

Das Teatro La Fenice in Venedig gehört zu den wichtigsten Opernhäusern der Welt. Um diesen guten Ruf aufbauen und erhalten zu können, waren Durchhaltevermögen und Optimismus notwendig – denn dieses Opernhaus ist gleich mehrfach abgebrannt und wieder aufgebaut worden. In diesem Blogpost erzähle ich die Geschichte des Teatro La Fenice. Ein Drama in drei Bränden.

Das lesen Sie in diesem Artikel:

Das Teatro La Fenice zählt zu den weltweit bedeutendsten Opernhäusern. Doch wie kommt es dazu, dass ein Opernhaus den Beinamen „Fenice“ (zu deutsch: „Phönix“) erhält?

Lassen Sie uns einen kurzen Ausflug in die Mythologie unternehmen, denn bei einem Phönix handelt es sich um einen mythischen Vogel. Allerdings um einen besonderen.

Am Ende seines Lebens stirbt ein Phönix nicht wie ein gewöhnlicher Vogel, sondern verbrennt (schon das alleine wäre dramatisch genug, um es auf eine Opernbühne zu schaffen).

Doch damit nicht genug. Seinen bühnenreifen Exitus vollzieht der Phönix nur, um gleich darauf aus seiner eigenen Asche wiederaufzuerstehen (jetzt wird’s wirklich divenhaft). Hardcore-Phönixe vollführen dieses bemerkenswerte Kunststück nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder.

teatro la fenice phoenix
"Wie Phönix aus der Asche" – diese Redewendung trifft auch auf das Teatro La Fenice zu. Der Phönix findet sich bis heute im Logo des Opernhauses.

Und genau so hat es auch das Teatro La Fenice in Venedig gemacht. Dieses Opernhaus ist nämlich nicht nur einmal niedergebrannt und anschließend wieder aufgebaut worden, sondern gleich dreimal (es handelt sich sozusagen um ein Drama – oder eine Oper – in drei Akten).

Daher möchte ich die eher ungewöhnliche Gelegenheit ergreifen, die Geschichte eines Opernhauses entlang dreier Brände zu erzählen. Das Teatro La Fenice bietet einfach eine unwiderstehliche Steilvorlage dafür.

Das Teatro La Fenice und das Feuer – ein Drama in drei Akten

1. Akt (1. Brand): 1774. Vom Teatro San Benedetto zum Teatro La Fenice

Im Jahr 1755 wurde in Venedig ein Opernhaus eröffnet, das bald als das wichtigste der ganzen Stadt gelten sollte: das Teatro San Benedetto. Dieses Opernhaus war das Vorgängertheater des Teatro La Fenice – doch immer schön der Reihe nach.

Verfügbare Bauplätze scheinen in Venedig schon immer knapp gewesen zu sein, denn der Erbauer des Teatro San Benedetto, Michele Grimani – seinerseits der einflussreichen venezianischen Patrizierfamilie Grimani entstammend –, ließ das Theater auf einem Grundstück einer anderen venezianischen Patrizierfamilie – der Familie Venier – erbauen.

Das wird später noch wichtig. Für den Moment merken Sie sich einfach: Grimani baut bei Venier.

Pietro Grimani
Pietro Grimani (1677–1752), Mitglied der Patrizierfamilie Grimani.
Francesco Venier
Francesco Venier (1489–1556), Mitglied der Patrizierfamilie Venier.

Diese Kooperation zwischen den Familien Grimani und Venier hat auch ziemlich gut funktioniert. Allerdings gab die Familie Grimani den Betrieb des Theaters nach einiger Zeit an ein Konsortium von Logenbesitzern des Teatro San Benedetto ab.

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AHA!

Das waren noch Zeiten! Die Menschen, die Abend für Abend in der Opernloge saßen, waren selbst für den Betrieb des Hauses verantwortlich. Das nenne ich mal Kulturbürgertum.

Auch dieser Betreiberwechsel tat dem Erfolg des Teatro San Benedetto zunächst keinen Abbruch.

Es brennt. Erst richtig, dann rechtlich.

Doch dann ereignete sich im Jahr 1774 ein Großbrand, bei dem das Teatro San Benedetto größtenteils niederbrannte.

Streng genommen ist beim ersten Brand also nicht das Teatro La Fenice, sondern dessen Vorgängertheater abgebrannt. Ich habe oben also etwas dramatisiert (aber nur ein bisschen. Außerdem gehört das zu jeder guten Oper dazu).

Der Wiederaufbau des Teatro San Benedetto wurde zwar noch mit vereinten Kräften gestemmt, doch dann kam es zum Streit darüber, wer das wieder funktionstüchtige Theater weiterbetreiben durfte. Ein Rechtsstreit wurde eröffnet. Es traten an:

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Die Patrizierfamilie Venier

Alteingesessen in Venedig und sehr, sehr mächtig. Auf ihrem Grundstück war das Teatro San Benedetto 1755 erbaut worden.

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Die Logenbesitzer

Weniger mächtig als die Familie Venier, dafür bessere Opernkenner. Die Logenbesitzer haben das Teatro San Benedetto in den Jahren vor dem Großbrand betrieben.

Ein Rechtsstreit ist selten produktiv. Hier darf jedoch von einem Glücksfall gesprochen werden, denn das Teatro La Fenice verdankt seine Existenz diesem Rechtsstreit. Es kam, wie es kommen musste: Die mächtigen Veniers gewannen den Rechtsstreit.

Nun war auf Seiten der Logenbesitzer guter Rat teuer. Was konnten sie tun? Auf dem Rechtsweg hatten sie gegen die Veniers keine Chance. Aber…

…sie hatten ja immer noch ihre Liebe zur Oper! Und wenn man sie aus ihrem Stammtheater so unsanft hinausbeförderte, was lag da näher, als einfach ein eigenes, neues Opernhaus zu bauen? Und so kam es dann auch. Vorhang auf für das Teatro La Fenice – buchstäblich aus der Asche auferstanden (wie der Phönix) und feierlich im Jahr 1792 eröffnet.

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Baupläne des neuen Teatro La Fenice aus dem Jahr 1788.
Teatro La Fenice Plan 1788 2

2. Akt (2. Brand): 1836. Von geschicktem Branding, Erfolg und Misserfolg

Die Logenbesitzer, die nun das Teatro La Fenice betrieben, waren schlau. Natürlich konnte jeder Venezianer den Namen des neuen Opernhauses mit dem Großbrand des Vorgängertheaters in Verbindung bringen – die Wahl des Namens war also eine kluge Form des Brandings, wie wir heute vermutlich sagen würden.

Gleichzeitig war die Namensgebung jedoch doppelbödig – denn die meisten Logenbesitzer waren Freimaurer.

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AHA!

Die Freimaurer sind ein ethischer Bund, der sich zu den Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität bekennt. Während der Zeit der Aufklärung stand die Erlangung rationalen Wissens in diesen Kreisen hoch im Kurs – es ging, bildlich gesprochen, darum, Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Phönix steht als sogenannter Sonnenvogel für Wiedergeburt und Auferstehung und entspricht damit dieser Lichtsymbolik.

Das Teatro La Fenice stand von Anfang an im Mittelpunkt des venezianischen Kulturlebens. Zahlreiche Uraufführungen sorgten dafür, dass das Opernhaus bald über die Grenzen Italiens hinaus bekannt wurde. Nach wenigen Jahren galt es als eine der wichtigsten Opernbühnen Europas.

Die meisten Werke, die damals auf dieser Bühne gespielt wurden, kennt heute fast niemand mehr. Das gilt übrigens auch für die Komponisten dieser Werke. Oder sagen Ihnen die Namen Giuseppe Francesco Bianchi, Marco Portugallo oder Niccolò Zingarelli etwas?

Eben.

Zwei Opernkomponisten, deren Werke zwischen der Eröffnung im Jahr 1792 und dem nächsten Großbrand im Jahr 1836 gespielt wurden, sind jedoch auch heute noch bekannt: Möglicherweise haben Sie schon einmal von Giuseppe Farinelli gehört, ganz bestimmt aber von Gioachino Rossini.

Ein Flop im Teatro La Fenice: Rossinis Sigismondo

Das Beispiel Gioachino Rossini zeigt übrigens, dass die Bekanntheit eines Opernhauses sich nicht nur durch herausragende Produktionen manifestiert – Misserfolge mögen zwar kurzfristig rufschädigend wirken, sorgen jedoch häufig für eine explosiv ansteigende Bekanntheit.

Im Jahr 1814 wurde Rossinis Oper Sigismondo (Nr. 14 seiner insgesamt 39 (!) Opern) im Teatro La Fenice uraufgeführt – und fiel durch. Der Grund: Eine verworrene, völlig unplausible Handlung, für die der Librettist Giuseppe Maria Foppa verantwortlich zeichnete. Nicht einmal Rossini selbst war mit der Oper zufrieden.

Der Misserfolg von Sigismondo war nachhaltig. Eigentlich hält er bis heute an. Ergebnis: Bis heute wird diese Oper zwar nicht gespielt, aber es wird über sie gesprochen – und damit auch über das Teatro La Fenice.

Nun aber zurück zum ambivalenten Verhältnis zwischen dem Teatro La Fenice und dem Feuer: Im Jahr 1836, ich sagte es bereits, kam es zum nächsten Großbrand. Die gute Nachricht: Der Brand führte diesmal nicht zur vollständigen Zerstörung. Innerhalb kurzer Zeit konnte das Opernhaus renoviert werden und war bereits zur nächsten Saison wieder spielbereit.

3. Akt (3. Brand): 1996. Das Teatro La Fenice erlangt Weltruhm

Nach der Renovierung im Jahr 1836 wurde das Teatro La Fenice dann erst so richtig erfolgreich. Es kann mit Fug und Recht gesagt werden, dass zu dieser Zeit das goldene Zeitalter des Hauses anbrach.

Gleich fünf Opern von Giuseppe Verdi gelangten zwischen 1844 und 1857 hier zur Uraufführung. Es handelt sich um die noch heute häufig gespielten Opern Ernani, Attila, Rigoletto, La Traviata und Simon Boccanegra. La Traviata gehört sogar bis heute zu den meistgespielten Opern überhaupt.

Hören Sie hier die Ouvertüre der Oper La Traviata, gespielt vom Orchestra del Teatro La Fenice und dirigiert von Sir John Eliot Gardiner. Diese Aufführung war Bestandteil des Neujahrskonzerts des Teatro La Fenice im Jahr 2013:

Als weitere ‚Highlights‘ dieses goldenen Zeitalters dürfen die italienische Erstaufführung von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen im Jahr 1883 und die Uraufführung von Igor Strawinskis The Rake’s Progress im Jahr 1951 gelten.

Kurzer Zwischenruf: The Rake’s Progress ist verteufelt schwierig zu spielen, zu singen und zu dirigieren. Ehrlich!

Für 160 Jahre blieb das Teatro La Fenice von weiteren Bränden verschont. Im Jahr 1996 war es dann wieder so weit: Das Opernhaus brannte fast vollständig nieder, wobei es sich diesmal um Brandstiftung handelte.

Die Aufarbeitung dieses dritten Brandes dauerte viele Jahre an – die Presse berichtete ausführlich darüber.

Doch das berühmte Opernhaus erhob sich ein weiteres Mal wie der Phönix aus der Asche: Im Jahr 2003 wurde es zunächst als Konzertsaal wiedereröffnet – zur Einweihung spielte das Orchestra del Teatro La Fenice unter der Leitung von Riccardo Muti.

Im Jahr 2004 konnte auch der Opernbetrieb wieder aufgenommen werden. Welche Oper wurde zur Wiedereröffnung gegeben?

La Traviata, natürlich. Die Inszenierung stammte von Robert Carsen, es dirigierte Lorin Maazel.

Mit der Wiedereröffnung im Jahr 2003 beziehungsweise 2004 konnte das Teatro La Fenice also einmal mehr an seine beeindruckende Geschichte als bedeutende Opernbühne anknüpfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert – im Teatro La Fenice können Sie ganzjährig Sinfoniekonzerte und Opernaufführungen erleben. Ich würde sagen, das gehört beim nächsten Venedig-Besuch unbedingt dazu.

Jonathan Stark – Dirigent
Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Rixa

    Es wäre gut gewesen, die Hintergründe des letzten Brandes des La Fenice zu erläutern, auch, weshalb nicht gelöscht werden konnte.
    Auf jeden Fall bin ich begeistert von den geschichtlichen Ausführungen der Häuser.

    1. Vielen Dank für die Anregung! Ich habe bei der Erstellung des Blogposts auch genau darüber nachgedacht… Es entbehrt ja auch nicht einer gewissen, tragischen Ironie, dass der letzte Brand ausgerechnet deshalb nicht gelöscht werden konnte, weil es in den Kanälen drumherum zu wenig Wasser gab 🙂

      Habe mich letztlich aber dann doch dafür entschieden, den Schwerpunkt auf der historischen Perspektive zu belassen. Ich freue mich sehr, wenn es gefällt!

      Herzliche Grüße,

      Jonathan Stark

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