Anton Bruckner gilt heute als einer der bedeutendsten Komponisten. Insbesondere seine geistlichen Werke und seine Symphonien werden häufig gespielt.
Doch auf diese Anerkennung musste Bruckner lange warten: Erst am 30. Dezember 1884 bekam er den Lohn für 40 Jahre harter Arbeit.
Denn Bruckners Karriere verlief alles andere als kometenhaft. Stattdessen war sie ein kontinuierliches Immer-weiter-Machen. Bruckner gehört damit zum Komponisten-Karriere-Typ „preußischer Zinnsoldat“:
Es gibt übrigens einige solcher „Zinnsoldaten“ unter den klassischen Komponisten. Ich wähle Bruckner hier nur als ein Beispiel unter vielen heraus. Typisch für die „Zinnsoldaten“ ist, dass am Ende ein Stück für den Durchbruch sorgt.
Bei Bruckner wurde dieses Stück am 30. Dezember 1884 uraufgeführt. Doch bis dahin war es ein weiter Weg…
Safety first
…was auch damit zu tun hat, dass für Bruckner immer die Sicherheit an erster Stelle stand. Er war unsicher – vor allem, was seine eigenen Fähigkeiten anging. Bevor er ein Risiko einging, sicherte er sich lieber nochmal (und nochmal) ab… zum Beispiel durch noch mehr Privatunterricht oder durch das Antreten einer sicheren Stelle.
Entsprechend lange dauerte es, bis Bruckner sich hauptsächlich dem Komponieren widmete. Ich definiere diesen Zeitpunkt mal als den Moment, in dem er seine 1. Symphonie fertigstellte. Das tat er im Unterschied zu vielen anderen Komponisten (vor allem im Unterschied zu den „Senkrechtstartern“) nicht in jungen Jahren. Nein. Da tat er etwas anderes, nämlich…
…erstmal Lehrer werden.
Bereits Bruckners Vater war Lehrer gewesen, der Beruf hatte also Tradition in der Familie. Bruckner begann seine Lehrerlaufbahn in einer winzigen Gemeinde in Oberösterreich.
Nach Konflikten mit den Vorgesetzten (Bruckner widmete sich zu viel der Musik) und einem Stellenwechsel wurde aber immer klarer: Bruckner wollte Profimusiker werden.
Weiterbildung die Erste
Deshalb nahm er in Wien Privatunterricht bei einem damals seeehr bekannten Lehrer, nämlich Simon Sechter. Der hatte schon Franz Schubert unterrichtet.
Nun darf man nicht vergessen, dass Bruckner zu diesem Zeitpunkt bereits 31 Jahre alt war. Man vergleiche das einmal mit den typischen „Senkrechtstartern“: Mendelssohn war in diesem Alter bereits ein Komponist und Dirigent von internationalem Format. Und Mozart, ja, Mozart… Der war schon fast tot.
Doch auch diese Weiterbildung reichte Bruckner noch nicht. Er fühlte sich noch immer unsicher. Also folgte…
…Weiterbildung die Zweite!
Bei Otto Kitzler (dem damaligen Kapellmeister am Linzer Theater) studierte Bruckner die Musik von Berlioz, Liszt, Wagner, Beethoven, Schumann und Mendelssohn. Erst dann fühlte er sich endlich bereit, eine Prüfung abzulegen…
…was er mit solcher Bravour tat, dass ein Jurymitglied später sagte: „Er hätte uns prüfen sollen!“ 😊
Profimusiker! Bruckner schreibt seine 1. Symphonie
Jetzt war Bruckner also auch formal qualifiziert genug, um sich „Profi“ nennen zu können (was für ihn selbst vermutlich am wichtigsten war). Er komponierte nun seine 1. Symphonie und war zu diesem Zeitpunkt sage und schreibe 41 Jahre alt.
Zum Vergleich: Joseph Haydn (der Großmeister der Symphonie) schrieb seine 1. Symphonie mit 25 Jahren. Mendelssohn mit 15. Mozart mit 9.
Die Uraufführung von Bruckners 1. Symphonie am 9. Mai 1868 war zwar ein Achtungserfolg – mehr aber auch nicht. Bis zu Bruckners Durchbruch am 30. Dezember 1884 sollte es immer noch fast 20 Jahre dauern. In diesen 20 Jahren tat Bruckner vor allem eines, nämlich…
…immer weiterkomponieren!
Und das ist eben diese Qualität der „Zinnsoldaten“. Die machen einfach immer weiter, völlig unabhängig von negativen Rückmeldungen oder Rückschlägen. Ob Bruckner dabei auch sein strenger Glaube behilflich war – ich weiß es nicht. Jedenfalls: Gründe, mit dem Komponieren wieder aufzuhören, hätte Bruckner genügend gehabt.
Sehen Sie sich das nur mal am Beispiel seiner weiteren Symphonien an: Nur die vierte war erfolgreich. Die anderen hingegen… Oje.
Bruckners zweite Symphonie wurde von der Öffentlichkeit sehr schlecht aufgenommen.
Die dritte ging völlig in die Hose.
Und die Symphonien Nr. 5 und 6 wurden gar nicht erst aufgeführt.
Keine tolle Bilanz, oder?
Aber, wie gesagt: Bruckner machte weiter (und immer weiter). Und dann kam der große Tag.
Es kam der 30. Dezember 1884.
Durchbruch in Leipzig! Die Uraufführung der 7. Symphonie
Mit der Uraufführung seiner 7. Symphonie gelang Bruckner endlich der Durchbruch. Er war inzwischen 60 (!) Jahre alt.
Warum ausgerechnet jetzt? Schwer zu sagen. Natürlich ist Bruckners Siebte ein famoses Werk. Aber das gilt auch für die anderen Bruckner-Symphonien. Vielleicht hatten auch die Stadt (in Leipzig war Bruckner von weniger Intrigen betroffen als in Wien) und der Uraufführungsdirigent (Arthur Nikisch hielt Einführungsvorträge über das Werk) einen positiven Einfluss.
Wenn Sie mehr zu diesem großartigen Stück Musik erfahren möchten, können Sie Bruckners 7. Symphonie hier kennenlernen (mit der 5-4-3-2-1-Methode).
Jedenfalls erhielt Bruckner ab diesem Moment die Anerkennung, die Ehrungen und die Auszeichnungen, die er eigentlich schon längst verdient gehabt hätte.
Ich hoffe, dieser Einblick in den Karriereverlauf eines „Zinnsoldaten“ hat Ihnen gefallen. Wie Sie aus dem ersten Teil dieses Mini-Erlebnisses wissen, gibt es auch noch einen anderen Komponistentypus – die „Achterbahnfahrer“. Einen davon lernen Sie in Teil 3 kennen…
Armer Zinnsoldat! Ich glaube, jetzt kennt man von ihm nur noch „Locus este“.