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Singspiel – was ist das?

Singspiele waren in den Opernhäusern des 18. Jahrhunderts äußerst populär. Doch was ist ein Singspiel überhaupt? Das erfahren Sie in diesem Blogpost.

Lesen Sie außerdem, warum die Bürger des 18. Jahrhunderts lieber ins Singspiel statt in die Hofoper gingen, wie Joseph II. den vielleicht ersten Kulturfördertopf aller Zeiten auflegte und welche Singspiele Sie unbedingt kennen müssen.

Das lesen Sie in diesem Artikel:

Singspiel – eine Einordnung

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, in welchem Verhältnis das gesprochene Wort und die Musik in einem Bühnenwerk zueinander stehen? Hier sind verschiedene Modelle denkbar:

Wo ist nun das Singspiel zu verorten? Das Singspiel gehört zu Modell 3, da es musikalische Nummern mit gesprochenen Dialogen vereint.

Es steht damit zwischen dem Schauspiel (Modell 4) und der Oper (Modelle 1 und 2).

Eine Definition für die Gattung Singspiel könnte daher lauten:

"Das Singspiel ist ein Schauspiel mit musikalischen Einlagen."

Singspiel oder Musical?

Möglicherweise fühlen Sie sich durch diese Definition an eine andere Gattung erinnert – nämlich an das Musical.

Stimmt. Zwischen Singspiel und Musical bestehen durchaus Schnittmengen, allerdings sind die beiden Gattungen nicht gleichzusetzen. Das hat mit der historischen Entwicklung der beiden Gattungen zu tun.

Denn während die Geschichte des modernen Musicals erst in den 1920er-Jahren beginnt, existiert das Singspiel schon sehr, sehr lange.

Die Geschichte des Singspiels

Die historische Entwicklung des Singspiels darzustellen, ist gar nicht so einfach.

Warum? Weil der Begriff ‚Singspiel‘ im Laufe seiner knapp 500-jährigen Geschichte mal größeren, mal kleineren Bedeutungsverschiebungen unterlag.

16. Jahrhundert: Im Zweifel ist’s ein Singspiel

Die Geschichte des Singspiels setzt im deutschsprachigen Raum im 16. Jahrhundert ein. Lassen Sie mich, um zu erklären, was damals unter einem Singspiel verstanden wurde, folgenden Vergleich bemühen:

Wenn Sie zu Weihnachten in die Kirche gehen, kennen Sie das Krippenspiel. Dabei wird die Weihnachtsgeschichte szenisch dargestellt, gerne unterlegt mit Musik.

Mehr oder weniger motivierte Kinder spielen Maria, Josef und die Hirten, in der Wiege liegt eine Babypuppe und dieser eine Mitschüler, den wir alle kennen und der sowieso immer gemobbt wird, hat die Eselsmaske auf.

Nun, so etwas wäre im 16. Jahrhundert unter den Begriff Singspiel gefallen! Allerdings noch vieles mehr.

Weihnachtsgeschichte als Singspiel
Die musikalische und szenische Darbietung der Weihnachtsgeschichte, wie wir sie heute aus dem Gottesdienst kennen, hätte man im 16. Jahrhundert als Singspiel bezeichnet.

Unter einem Singspiel wurden im 16. Jahrhundert verschiedene Formen künstlerischer Darbietungen verstanden,

  • die am Hof, in der Kirche oder im städtischen Rahmen stattfanden,
  • szenisch ausgestaltet wurden und
  • bei denen Musik eine wie auch immer geartete Rolle spielte.

Die Bezeichnung ‚Singspiel‘ war im 16. Jahrhundert also noch recht unspezifisch, weil prinzipiell alle theatralen Darbietungen, die in irgendeiner Verbindung zur Musik standen, unter diesem Begriff zusammengefasst wurden.

Um 1700: Die Bürger wollen ihre eigene Oper

Um das Jahr 1700 beginnt sich eine schärfere Definition des Begriffs ‚Singspiel‘ herauszubilden. Zu dieser Zeit kam im Bürgertum der Wunsch nach einer musikdramatischen Gattung auf, die sich von der höfischen Oper unterschied.

Das Singspiel als bürgerliche Oper, sozusagen.

Von höfischer Oper zu Singspiel

Nun, wie konnte diese Unterscheidung von der höfischen Oper denn nun bewerkstelligt werden?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir uns genauer ansehen, wie die höfische Oper und das Singspiel um 1700 gestaltet waren.

Abgrenzung zur Oper

Zur Form: „Es ist nicht alles schlecht, aber…“

Werfen Sie doch noch einmal einen Blick auf die vier Modelle der möglichen Proportionen zwischen Musik und Text, die ich zu Beginn dieses Artikels vorgestellt habe.

Die höfische Oper um 1700 würde in die zweite Kategorie fallen. Ein sehr einfacher Aufbau eines einzelnen Aktes einer höfischen Oper um 1700 könnte folgendermaßen aussehen:

Ablauf ein Akt höfische Oper
Möglicher Ablauf eines höfischen Opernaktes.

In einer Arie steht eine einzelne Figur der Oper im Zentrum des Geschehens. Diese Figur gibt Ihnen einen Einblick in ihre Gefühlswelt: Sie klagt vielleicht ihr Leid, sie freut sich oder grübelt vor sich hin.

Die Arie ist also emotionsbetont (die Opern-Nerds sagen ‚affektbetont‘). Die Handlung steht für einen Augenblick still.

Im Rezitativ hingegen wird die Handlung vorangetrieben. Oft kann es gar nicht schnell genug gehen – der Sänger oder die Sängerin transportiert große Mengen von Text in kurzer Zeit, und zwar in einem Duktus, der dem gewöhnlichen Sprechen sehr nahe ist. Als Begleitung ein paar Cembaloakkorde hier und da – fertig ist das Rezitativ.

Nun waren den Bürgern um 1700 diese typischen Opernformen viel zu kompliziert. Einfach musste es sein, verständlich und nah am Volk.

Und überhaupt, diese Rezitative! Da versteht man ja sowieso kein einziges Wort.

Zugeben musste die bürgerliche Fraktion allerdings, dass die Gesamtstruktur – also die Abwechslung zwischen einem affektbetonten Element, in dem die Zeit gewissermaßen ‚stillsteht‘, und einem Element, das die Handlung vorantreibt – dramaturgisch schon verteufelt gut funktioniert.

Man beschloss daher, dass man das Kinde ja nicht unbedingt mit dem Bade auszuschütten brauchte. Die Gesamtstruktur behielt man bei, und diese lästigen Arien und Rezitative ersetzte man einfach. Wodurch? Durch Lieder – die kannte eh jeder – und Dialoge – da verstand man wenigstens was.

Ein sehr einfacher Aufbau eines einzelnen Aktes eines Singspiels um 1700 und später könnte also so aussehen:

Ablauf ein Akt Singspiel
Möglicher Ablauf eines Singspielaktes.

Zum Inhalt: „Wir wollen etwas zu Lachen haben…“

Doch nicht nur formal hob sich das Singspiel von der höfischen Oper ab – auch die Inhalte waren ganz andere.

Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie eine Fernsehsendung sehen, die Sie in Ihrer Meinung zu einem bestimmten Sachverhalt bestärkt? Oder wenn Sie einen Zeitungsartikel lesen, der genau Ihre Einstellung widerspiegelt?

Herrlich, dieses Gefühl, nicht wahr? Es geht doch nichts darüber, wenn man seine eigenen Positionen in einem gewissen öffentlichen Rahmen bestärkt sieht.

Nun, das war im Jahr 1700 nicht anders. Die höfische Oper wurde von Monarchen und ihrem Hofstaat, allenfalls noch von der allerobersten bürgerlichen Oberschicht konsumiert.

Natürlich waren die Hauptfiguren in der höfischen Oper Monarchen, deren Hofstaat und die alleroberste bürgerliche Oberschicht.

Meistens ging es in einer höfischen Oper dann darum, dass ein Monarch mit einem gewissen Problem oder gar moralischen Dilemma konfrontiert wird, das er dann natürlich vorbildlich, milde, weise, großzügig und überhaupt unnachahmlich meistert.

Dass das für die ‚kleinen Leute‘ eher langweilig war, dürften Sie sich denken können.

Also waren im Singspiel ganz andere Inhalte gefragt: Das Leben der einfachen Leute wurde auf der Opernbühne gezeigt, das Leben von Zimmermännern, Dienstmädchen, Klempnern…

Na gut, vielleicht nur von Zimmermännern und Dienstmädchen.

Jedenfalls durfte jetzt im Opernhaus auch mal gelacht werden. Das Singspiel ist heiter, lustig und man geht danach beschwingt nach Hause.

Singspiel: von ernst zu lustig
Von ernst zu lustig: Mit dem Singspiel erhielten amüsante Handlungen Einzug in die Opernhäuser.

Von der Opéra-comique zum Singspiel

Den geografischen Ausgangspunkt dieser ganzen Entwicklung bildete Frankreich, wo das Singspiel Opéra-comique hieß. Diese unterhaltsamen, lustigen und leichten Stücke aus Frankreich fanden bald auch im deutschen Sprachraum reißenden Absatz…

…was dem österreichischen Kaiser Joseph II. ein Dorn im Auge war. Sein Volk konsumierte französisches Entertainment und hatte auch noch Spaß dabei! Das war natürlich ein unhaltbarer Zustand.

So kam es, dass Joseph II., pfiffig wie er war, im Jahr 1776 das Französische Theater in Wien kurzerhand zum Teutschen Nationaltheater umfunktionierte und fortan die Produktion und Aufführung deutschsprachiger Singspiele massiv förderte.

Einer der bekanntesten Profiteure des Singspiel-Fördertopfes von Joseph II.: Wolfgang Amadeus Mozart.

Mozart schrieb nämlich nicht nur wunderbare Sinfonien, sondern schuf im Jahr 1782 mit der Unterstützung des Kaisers das deutschsprachige Singspiel Die Entführung aus dem Serail, das heute zwar noch immer gespielt wird, meiner Meinung nach aber viel zu wenig (es ist ein geniales Stück!).

Die Bemühungen von Joseph II. hatten Erfolg: Das deutschsprachige Singspiel wurde zu einer bedeutenden Bühnengattung in der Zeit der Aufklärung, da es aufklärerische Ideale auf unterhaltsame Art und Weise unters Volk brachte (heute würde man das wohl ‚Infotainment‘ nennen. Also genau das, was ich hier im Blog auch immer versuche 😊).

Wer hat Singspiele komponiert?

Wenn Sie nun Lust auf das Singspiel bekommen haben, hören Sie sich doch einmal die Werke von den folgenden fünf Komponisten an – die haben tolle Singspiele geschrieben!

  • Wolfgang Amadeus Mozart begann seine kompositorische Laufbahn unter anderem mit einem Singspiel. Bastien und Bastienne, ein ca. einstündiges Bühnenwerk, entstand in den Jahren 1767 und 1768, als Mozart gerade einmal zwölf Jahre alt war.

    Auch später schrieb Mozart bedeutende Singspiele, darunter das bereits angesprochene Die Entführung aus dem Serail sowie Die Zauberflöte. Bei der Zauberflöte handelt es sich sogar um eines der meistgespielten Stücke überhaupt.

Mozart 1819
Wolfgang Amadeus Mozart, posthumes Gemälde von 1819.
  • Antonio Salieri: Von einer romantisch geprägten Musikgeschichtsschreibung häufig zu Mozarts ‚Gegenspieler‘ stilisiert, schuf auch Antonio Salieri Singspiele, die es sich zu hören lohnt. Zu nennen ist beispielsweise Der Rauchfangkehrer – ein überaus erfolgreiches Werk, das im Jahr 1781 in Wien uraufgeführt wurde.

    Salieri profitierte, genau wie Mozart, von der Förderung des deutschen Singspiels durch Joseph II.

Salieri 1815
Antonio Salieri im Jahr 1815.
  • Carl Ditters von Dittersdorf: Ein Komponist und Zeitgenosse von Mozart und Salieri, der heute größtenteils in Vergessenheit geraten ist (trotz seines bemerkenswerten Namens!). Dabei war Dittersdorf ein sehr produktiver Komponist von Bühnenwerken – nicht weniger als 32 Opern und Singspiele stammen aus seiner Feder!


    Eines seiner wenigen Stücke, die heute noch bekannt sind, ist das Singspiel Doktor und Apotheker aus dem Jahr 1786.

Dittersdorf 1816
Carl Ditters von Dittersdorf im Jahr 1816.
  • Carl Maria von Weber: Eine Generation nach Mozart, Salieri und Dittersdorf prägte Carl Maria von Weber die deutsche romantische Oper. So ist es nicht verwunderlich, dass Weber heute vor allem für seinen Freischütz bekannt ist, der gewissermaßen als Urtypus der deutschen romantischen Oper gelten darf.

    Doch der Freischütz war nicht Webers einziger großer Wurf: Im Jahr 1811, rund zehn Jahre vor der Uraufführung des Freischütz, erfolgte die Uraufführung von Webers Singspiel Abu Hassan. Deshalb gehört Weber unbedingt zu den wichtigen Singspielkomponisten dazu.

Carl Maria von Weber im Jahr 1821.
  • Albert Lortzing: Dieser Zeitgenosse von Carl Maria von Weber gilt als einer der Hauptvertreter der deutschen Spieloper. Streng genommen sind die beiden Gattungsbegriffe Spieloper und Singspiel nicht gleichbedeutend – meist wird die Spieloper als Nachfolgegattung des Singspiels bezeichnet.

    Da die Gattungsgrenzen aber meiner Meinung nach fließend verlaufen und Lortzing außerdem mit Zar und Zimmermann, Der Wildschütz und Der Waffenschmied mindestens drei unterhaltsame Singspiele (oder eben Spielopern) geschaffen hat, muss er hier einfach genannt werden.

Albert Lortzing im Jahr 1835.

Wichtig: Natürlich ist eine solche Aufzählung der ‚Stars‘ einer bestimmten Gattung immer unvollständig.

Viele weitere tolle Singspielkomponisten wären zu nennen – Meyerbeer, Kreutzer, Schubert, Mendelssohn und wie sie alle heißen. Doch auf all diese Singspielkomponisten werde ich im nächsten Blogpost eingehen.

Picture of Jonathan Stark – Dirigent
Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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