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Tempo (Musik) verstehen Schritt für Schritt

Das Tempo ist ein bedeutender Faktor in der Musik. Es ist so prägend für die Wirkung eines Musikstücks wie kaum ein anderer Aspekt. In diesem Artikel erfahren Sie Schritt für Schritt alles über das Tempo in der Musik. Am Ende werden Sie jede Tempoangabe verstehen können.

Das lesen Sie in diesem Artikel:

Tempo (Musik) – was ist das überhaupt?

Zuerst muss geklärt werden, worum es sich beim Tempo in der Musik überhaupt handelt.

Das Tempo (aus dem Italienischen: „Zeit“) gibt in der Musik an, wie schnell ein Musikstück gespielt werden soll.

Jetzt kann man sich fragen: Warum muss ein Tempo eigentlich angegeben werden? Ist es nicht genug, die Musik in Noten aufzuschreiben?

Gute Fragen. Sie deuten auf ein „Problem“ unserer Notenschrift hin.

Das Problem unserer Notenschrift

Unsere heutige Notenschrift hat sich bewährt. Sie überträgt einen akustischen Vorgang ins Optische. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und gemessen daran macht unsere Notenschrift einen ziemlich guten Job. Sie ist aber nicht perfekt, denn bei der Übertragung gehen Informationen verloren. Ein Beispiel:

Tempo und Rhythmus: Einfacher Rhythmus Halbe Viertel

Hier sehen Sie einen einfachen musikalischen Rhythmus, bestehend aus halben Noten (𝅗𝅥) und Viertelnoten (𝅘𝅥). Halbe Noten dauern per Definition doppelt so lange wie Viertelnoten. Die zweite Note im Beispiel muss also doppelt so lange ausgehalten werden wie die dritte Note.

Aber: Die Notenschrift transportiert keine Information über die absolute Länge der Noten.

Sie könnten die halbe Note zwei Sekunden lang aushalten und die Viertelnote eine Sekunde. Gut.

Sie könnten die halbe Note aber auch zehn Jahre aushalten und die Viertelnote fünf Jahre.

Beides würde dem obigen Beispiel entsprechen und wäre korrekt, denn mit der heutigen Notenschrift lassen sich nur relative rhythmische Werte darstellen, keine absoluten Dauern.

Deshalb muss man sich für ein bestimmtes Tempo entscheiden.

Die Frage nach dem „richtigen Tempo“ im Verlauf der Musikgeschichte

Diese Frage nach dem „richtigen Tempo“ wurde in der Musikgeschichte schon früh gestellt und wird bis heute heiß diskutiert. Die Art, wie die Entscheidung für ein bestimmtes Tempo getroffen wurde, hat sich im Verlauf der Musikgeschichte immer wieder verändert.

Bis ca. 1750: Tempowahl treffen ohne Tempoangabe

Bis ca. 1750 war es unüblich, dem Notentext eine Tempoangabe hinzuzufügen. Die Musiker konnten einem Musikstück „ansehen“, in welchem Tempo es musiziert werden sollte. Tempobestimmend waren Faktoren wie Taktart, Notenwerte, harmonischer Rhythmus und Charakter des Stücks.

Hier sehen Sie zwei Stücke aus Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier:

Tempo Vergleich Bach WTK P2 F5

Für Bach und seine Zeitgenossen war es klar, dass das erste Stück in einem schnelleren Tempo gespielt werden musste als das zweite Stück. Die Notenwerte sind der entscheidende Hinweis: Im ersten Stück sind Sechzehntelnoten die kleinste rhythmische Einheit, im zweiten Stück Zweiunddreißigstelnoten.

Im zweiten Stück muss man also doppelt so viele Noten auf einem Schlag unterbringen wie im ersten Stück. Das zweite Stück muss daher in einem langsameren Puls (= einem langsameren Tempo) musiziert werden.

Wie schnell oder langsam genau, das bleibt offen. Hier besteht Spielraum für Interpretation. Erst später wurden präzisere Tempoangaben gemacht.

Ab ca. 1750: Tempo = Tempowort + Taktart

Ab ca. 1750 wurde ein ausgeklügeltes System verwendet, um das Tempo eines Musikstücks zu verdeutlichen. Sehen wir uns das am Beispiel von Mozarts Prager Sinfonie an. Hier der Beginn (Wiener Kammerorchester, Dirigent: Jonathan Stark):

Mozart Prager Reduktion erste Takte

Mozart kombiniert eine Taktart mit einem Tempowort. Die Taktart c steht für einen Viervierteltakt, das Tempowort Adagio ist italienisch und heißt „langsam“.

In der Musik gibt es sehr viele Tempoworte. Auch für graduelle Veränderungen des Tempos gibt es verschiedene Bezeichnungen: Man kann beispielsweise auf 27 verschiedene Arten „schneller“ und auf 30 verschiedene Arten „langsamer“ sagen.

Mozart braucht also nur ein paar Tintenstriche, um mir, dem Dirigenten, im Abstand von über 200 Jahren zuzurufen: „Nimm langsame Viertel!“ Wie langsam genau? Nun, das darf ich entscheiden. Mit meinem Taktstock kommuniziere ich meine Entscheidung an das Orchester.

Dieses System zur Tempoangabe (Tempo = Tempowort + Taktart) war so nützlich, dass man sich bald fragte: Können wir mit der Tempoangabe nicht noch mehr Informationen transportieren, wenn wir sie schon benutzen?

Geboren war das Charakterwort.

Noch mehr Info auf engem Raum: Tempo = Tempowort + Charakterwort + Taktart

Bald wurde die Tempoangabe dazu genutzt, um im selben Atemzug den Charakter der Musik anzugeben. Dieser wurde in einem Charakterwort ausgedrückt, das dem Tempowort hinzugefügt wurde. Hier ein paar Beispiele für Charakterworte:

con doloremit Schmerz
con fuocomit Feuer
espressivoausdrucksvoll
graziosograziös
moltosehr, viel

„Adagio con dolore“ wäre dann „Langsam, mit Schmerz“, „Presto con fuoco“ wäre „Schnell, mit Feuer“. So konnte man durch Kombinieren schon ziemlich präzise Tempoangaben basteln.

Aber das war noch längst nicht präzise genug. Die Entwicklung ging weiter.

Ganz präzise muss es sein! Musikalische Tempi mit dem Metronom angeben

Ab ca. 1800 war den Musikern das System der Tempoangabe (Tempo = Tempowort + Charakterwort + Taktart) nicht mehr präzise genug. Tempi sollten so angegeben werden können, dass sie ohne Missverständnisse überall verstanden wurden. Also machten sich die Gelehrten in ganz Europa an die Arbeit.

In den Jahren 1814/1815 entstand dann ein Gerät, mit dem musikalische Tempi präzise angegeben werden konnten: Das Metronom! Die Entstehung des Metronoms ist ein regelrechter Musik-Krimi: Die beiden Erfinder Dietrich Nikolaus Winkel und Johann Nepomuk Mälzel führten einen Rechtstreit darüber, wer die Rechte am Metronom besaß.

Diesen Musik-Krimi können Sie im Sommer-2022-Mini-Erlebnis nachlesen.

Ein Metronom gibt eine bestimmte Anzahl akustischer Impulse in gleichmäßigen Zeitabständen pro Minute aus. Diese Anzahl der Impulse wird mit einem bestimmten Notenwert kombiniert. Die Metronomangabe ♩ = 120 bedeutet zum Beispiel, dass eine Viertelnote genau so lang ist wie ein Impuls, wenn das Metronom 120 Impulse pro Minute vorgibt (also eine halbe Sekunde).

Mit dem Metronom konnte also ab 1815 das Tempo in der Musik präzise angegeben werden. Das heißt aber nicht, dass von diesem Zeitpunkt an das Tempo nur noch in Metronomangaben vorgeschrieben wurde. Vielmehr bestanden alle Systeme, die Sie bislang kennengelernt haben, nebeneinander (und tun das bis heute).

Ich finde, das ist gut so. Metronomangaben sind nützlich, manchmal ist es aber auch sinnvoll, auf ein Tempowort auszuweichen, das Raum zur Interpretation lässt. Welche Lösung gewählt wird, hängt vom Komponisten ab. Ein Extrembeispiel ist sicherlich der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen (1928–2007), der sogar Metronomangaben mit Nachkommastellen verwendete.

Hier eine Übersicht, welche Tempoworte ungefähr welchen Metronomangaben entsprechen (von langsam nach schnell, nach Mälzel 1816):

TempowortMetronomangabe
Largo/Lento40–60
Larghetto60–66
Adagio66–76
Andante76–108
Moderato108–120
Allegro120–168
Presto/Allegro assai168–200
Prestissimo200–208

Und jetzt alles zusammen! Das „Rezept“ für Tempoangaben in der Musik

Nachdem Sie nun die verschiedenen Systeme kennengelernt haben, können Sie nicht nur alle Tempoangaben in der Musik verstehen, sondern auch Ihre eigenen basteln. Bedienen Sie sich aus den Tabellen zu Tempoworten, Charakterworten und Metronomangaben und stellen Sie die einzelnen Komponenten zusammen, zum Beispiel:

  1. Lento con dolore 𝅘𝅥 = 40
  2. Andante grazioso 𝅘𝅥 = 96
  3. Prestissimo con fuoco 𝅗𝅥 = 208

Viel Spaß beim Herumprobieren! 😊

Picture of Jonathan Stark – Dirigent
Jonathan Stark – Dirigent

Hallo! Ich bin Jonathan Stark. Als Dirigent ist es mir wichtig, dass Konzert- und Opernbesuche beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dabei hilft Hintergrundwissen. Deshalb blogge ich hier über Schlüsselwerke der klassischen Musik, über Komponisten und Komponistinnen, über die Oper und vieles mehr, was sich in der aufregenden Musikwelt ereignet.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. HP

    Habe viel dazu gelernt in „Tempo (Musik) „.
    Herzlichen Dank für die vielen Infos.

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